Eintrag 4

Der Besuch

Gestern empfing ich zum ersten Mal Besuch auf dem entlegenen Eiland der Oligoamory, nachdem ich selber erst vor drei Wochen hier angelandet war. Es war mein*e Freund*in vom vielgestaltigen Archipel der Polyamory – und entsprechend aufgeregt war ich.
Selbstverständlich zeigte ich begeistert all die Dinge, die mir bisher begegnet waren: Wir besuchten den Ort meiner Anlandung, ich führte die Fotos und Karten vor, auf denen sich die Umrisse der Insel allmählich abzuzeichnen begannen, wir betrachteten die reichhaltige Flora und Fauna des Eilands, deren vielversprechendes Potential ich selbstverständlich betonte und natürlich begaben wir uns auch zu dem imposanten „Stein der Oligoamoren“.
Als wir allerdings am Abend auf der Veranda meiner Hütte bei einem kühlen Getränk saßen, bemerkte ich eine deutliche Irritation bei meinem Gast, von der ich den Eindruck hatte, daß sie sich über den Tag nach und nach aufgebaut hatte.
Da ich mich im Sinne der Oligoamory in großer Aufrichtigkeit üben wollte, sprach ich meine*n Freund*in darauf an – und bat, ebenso aufrichtig zu antworten.

„Jetzt hast Du mir soviel von diesem verborgenen neuen Eiland erzählt und gezeigt“, begann mein*e Gesprächspartner*in, „aber das Wichtigste, scheint mir, hast Du dabei ausgelassen. Wo sind denn diese vielbeschworenen Bewohner*innen? Selbst Du, mein guter Oligotropos, lebst hier mit Deiner Nesting-Partnerin in Deiner selbsternannten Forschungsstation – zu zweit – fast wie ein biederes Ehepaar anzusehen.“

„Auf der einen Seite bekümmert mich das natürlich auch ein bisschen“, antwortete ich, „und selbstverständlich hätte ich Dir in der Hinsicht auch gerne schon mehr präsentiert. Auf der anderen Seite ist der gegenwärtige Zustand durchaus soweit ziemlich realistisch.“
„Wie soll ich das verstehen?“ „Nun – erst einmal sind wir hier auf dem entlegenen Eiland der Oligoamory buchstäblich bereits ‚recht weit draußen‘ – es ist ganz wichtig, daß wir uns das immer wieder klar machen, gerade in Zeiten, in denen auf den ersten Blick ’nichts zu sehen ist‘. Schon der sagenumwobene Kontinent der ‚Offenen Beziehungen‘ ist seinerseits ein ganzes Stück von der gegenwärtig noch immens viel größeren ‚Alten Welt der Monogamie‘ entfernt. Nur etwa 15% der Bevölkerung können sich derzeit überhaupt vorstellen, nicht-monogame Beziehungen zu führen, schon das ist keine besonders große Menge.
Und dann erst dein vielgestaltiges Archipel der Polyamory – diese pluralistische Inselgruppe, eben so noch in den Hoheitsgewässern der „Offenen Beziehung“ befindlich. Es heißt, daß es dort gerade einmal 2 bis 3% der Leute hin verschlagen hat, die sich nun als ‚polyamor‘ bezeichnen.
Und von diesem Archipel ist nun die ‚Oligoamory‘ das bislang letzte kleine bekannte Eiland – da finde mal die paar Menschen, die sich bis hierher bewegt haben. Ich meine, da ist ja beinahe der Name schon Programm: Ich brauche dich nicht zu erinnern das ‚oligo-‚ doch ‚wenig‘ bedeutet, und Wenige sind es auch, die in dieser Hinsicht Beziehungsphilosophie und anhängige Lebensweise ähnlich auffassen und teilen möchten. Die müssen sich erst einmal finden!“
„Aber Du selbst bist doch jetzt auf dieser Insel…“, begehrte mein*e Freund*in auf. „Ja, schon“, unterbrach ich, „allerdings erst seit drei Wochen. Und damit kommt ein ganz wichtiger oligoamorer Faktor ins Spiel…“ „Welcher da ist?“
„Die Zeit natürlich“, sagte ich. „Deshalb finde ich das Symbol der Oligoamory, insbesondere dessen Doppelspirale, ja so charakterisierend: Keine Beziehung kann wie mit einem Knopf eingeschaltet werden und dann ist sie sogleich voll entfaltet in der Welt. Beziehungen bahnen sich an, werden aufgenommen, entwickeln sich, wachsen (hoffentlich) zusammen und werden über einen langen Zeitraum hinweg erst immer tiefer und ziehen größere Kreise. Ganz abgesehen von ihrer Eigendynamik und Wechselwirkung auf die daran Beteiligten, die ich in der Spirale ja erst recht gut getroffen finde…“
„Also gut, wir sind nicht an jeder Ecke zu finden, manchmal ist es regelrecht schwierig, das gebe ich zu.“ sagte mein Gegenüber. „Das mit der Beziehungsanbahnung und -führung ist aber doch wohl nirgendwo anders – oder?“
„Darauf antworte ich ein messerscharfes ‚je nachdem‘ “, sagte ich. „Wir leben leider in einer tendenziell serieller werdenden Welt. Alleine die hohen Scheidungsraten legen das nahe. Diesen Hang zur Serialität legen Menschen aber nicht automatisch ab, wenn sie das Territorium von offenen Beziehungen oder polyamoren Boden betreten, selbst wenn sie dort neue Werkzeuge zur Beziehungsführung vorfinden.“
„Und die Oligoamory…“ begann mein*e Gesprächspartner*in. „Ist so abseitig und überschaubar, daß ihre Bewohner*innen deshalb schon aus nachhaltigen Gründen keine schnelle Austauschbarkeit anstreben. Oder genauer, wie ich Dir bereits in meinem Brief schrieb, würden sie in ihrem Streben, sich wechselseitig als ‚ganze Menschen‘ mit allen Stärken und Schwächen anzuerkennen, eher keine Parallelbeziehungen aufgrund rein situativ unerfüllter Bedürfnisse aufnehmen (oder nach Laune wieder ablegen). Das würde ja auch gar nicht zu ihrem Motiv der Zeit und der Endlichkeit passen: Beziehungen sind für sie da mehr wie Pflanzen, quasi organisch. Es ist für alle Beteiligten sinnstiftender, sich über einen wirklich langen Zeitraum in sie einzubringen, um sie mitgestalten zu können. Zeit spielt in der Oligoamory also immer eine Rolle. Eine Mehrfachbeziehung unter verbindlich-nachhaltigen Kriterien zu führen, heißt auch, sie schon beim Aufbau verbindlich und nachhaltig anzugehen und das benötigt genau wiederum Zeit.“
„Was nun aber deine Zweisamkeit hier angeht, mein Bester…“ Diesmal unterbrach ich sofort: „Die Wenigen, die in der Oligoamory angesprochen werden können auch bloß Zwei sein“, sagte ich. „Qualitative Beziehungsführung steht jedem gut, egal wie viele es sind. Ich würde in dem Fall sogar sagen, daß es schon richtig klasse wäre, wenn man demgemäß eine gute Beziehung nur mit sich selbst hätte…“ „Klingt nach einem aber…“ „Richtig, Du weißt doch, daß ich da mit Scott Peck und übrigens auch Gerald Hüther einer Meinung bin: Um wirklich weiter zu kommen, brauchen wir die Anderen! So schreibt Hüther zum Beispiel in seinem 2011 erschienen Buch ‚Wer wir sind und was wir sein könnten‘:
‚Wer sich also weiterentwickeln will, muss in Beziehungen denken und in Beziehungsfähigkeit investieren. Das ist das Geheimnis der Kunst des miteinander und aneinander Wachsens. Erreichen lässt sich dieses Kunststück aber nur durch die Wertschätzung der jeweils anderen als einzigartige Persönlichkeiten, als Quelle von Wissen und Erfahrung, sowie durch die Einführung einer Lern- und Fehlerkultur im gelebten Miteinander.‘

„Ok, ich habe verstanden. Oligoamory, das sind also die Wenigen – und das Wenige braucht Zeit zur Entfaltung.
Wie soll ich dazu aber dann diesen Stein, den Du mir gezeigt hast verstehen? Das ist doch eine ziemliche Monstrosität, meinst Du nicht? Was müßte man für ein Übermensch sein, um das alles zu erfüllen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es irgendwo eine lebendige Beziehung gibt, welche die dort aufgeführten Merkmale realisiert!“ sprach mein Gegenüber immer aufgebrachter.
„Moment, Moment!“, rief ich. „Du solltest den Stein diesbezüglich weder über- noch unterbewerten.“ „Was heißt das schon wieder?“ „Du hast den Stein doch gesehen“, sagte ich, „das ist ja nun nicht gerade eine pompöse Kultstätte, an der die Oligoamoren unter dramatischen Riten ihre Beziehungen darbringen. Ganz im Gegenteil: Es ist ein versteckter, beinahe schon kontemplativer Ort.
Ab und zu, wenn ein oligoamorer Mensch das Bedürfnis danach verspürt, begibt er, sie oder es sich in diesen privaten Raum, um innere Zwiesprache zu halten. Dabei geht es dann meistens um die Person selber, beispielsweise wenn sie ihre Verbindungen im Zusammenhang mit den Werten dort betrachtet, ob ihr eine bestimmte Beziehung jene Dinge noch erfüllt, ob alles in guten Anteilen enthalten ist, ob vielleicht etwas verändert werden könnte, und ob ein Zeitpunkt für Austausch und Kommunikation miteinander darüber gekommen ist – so etwa.“
„Ah, ich beginne zu verstehen…“
„So ‚übermenschlich‘ empfinde ich die Werte übrigens gar nicht. Zugegeben, wegen der Menge der Zeichen und Synonyme kommt es einem so gewaltig vor. Genau genommen ordnen sie sich aber um nur fünf Kernbereiche an, die ich jetzt mal grob ‚Verbindlichkeit, Berechtigung, Aufrichtigkeit, Identifikation und Nachhaltigkeit‚ nennen würde. Außerdem haben die Oligoamoren seit jeher das ‚menschliche Maß‘ sehr betont. Also in dem Sinne, daß ein Ideal als Leitstern wichtig ist, nach dem es sich stets zu streben lohnt – aber für das man keine Gefangenen macht, nicht einmal sich selber. Da hat dieser Gerald Hüther auch etwas zu geschrieben, warte mal:
‚Diese Potentiale konnten damals und können auch heute Menschen nur gemeinsam entfalten. Nicht in Gemeinschaften, die Ameisenstaaten, Horden oder Schwärmen ähneln, sondern in individualistischen Gemeinschaften, in denen es auf jedes einzelne Mitglied ankommt, wo jede*r Einzelne die in ihm angelegten besonderen Begabungen entfalten und mit seinen besonderen Fähigkeiten zur Entfaltung der in diesen Gemeinschaften verborgenen Potentiale beitragen kann.‘
Das ist für mich hinsichtlich der Oligoamory ein sehr schöner Gedanke. Individualistische Gemeinschaften. Da ist sichergestellt, daß auch die vielbeschworenen ‚Werte‘ für die beteiligten Menschen vom Inhalt her immer individuell zugänglich werden und bereichern. Erinnerst Du Dich: Die oligoamoren Schlüsselworte waren ‚Bedürfnisgerechtigkeit statt Verteilungsgerechtigkeit‚ “

„In Ordnung“, gab mein*e Freund*in zu, „ wenn Du es so darstellst, klingt es gleich viel wärmer und lebensnäher.
Ein- zwei Problemchen hätte ich aber trotzdem noch…“ „So? Na dann – Feuer frei!“
Du hattest ja schon viel dazu erklärt, warum ‚Polyamory‘ für Dich selber nicht mehr charakterisierend genug war und wo Du die Chancen der ‚Oligoamory‘ siehst. Dennoch berufst Du Dich dabei gleichzeitig auf zahlreiche Errungenschaften der Polyamory. Doch dabei, scheint mir, hast Du eine Menge über Bord geworfen. Was ist mit den dortigen Werten, die Du bisher noch gar nicht genannt hast, wie z.B. Kommunikation, Vertrauen, sowie der Freiheit von Kontrolle und besitzergreifendem Verhalten?“
„Da halte ich tatsächlich am stärksten gegen“, stellte ich fest, „ weil ich nichts davon als ‚Wert‘ im eigentlichen Sinne betrachte.“ „Wie bitte?“
Ja, das hast Du richtig gehört. Im Gegensatz zu Kriterien wie z.B. Transparenz, Einvernehmlichkeit oder Gleichberechtigung, denen trotz graduell unterschiedlicher Auslegung ein einigermaßen verbindlicher Inhalt zugeordnet wird, gilt das für ‚Kommunikation‘, ‚Vertrauen‘, sowie der ‚Freiheit von Kontrolle und besitzergreifendem Verhalten‘ nicht – diese Beschreibungen enthalten nämlich eine sehr große Bandbreite von damit einhergehenden Handlungsweisen. Ich möchte die Einzelpunkte auch gar nicht näher sezieren, denn meiner Meinung nach sind es keine fixen ‚Werte‘ sondern nichtsdestoweniger wichtige, flexible Stellgrößen. Und hinter den vier obigen Begriffen stecken eigentlich ’nur‘ zwei Stellgrößen, die beide auch für die Oligoamory bedeutsam sind: Kommunikation und Vertrautheit.“
„Das erklär‘ mir mal bitte genauer.“
Kommunikation ist da ein prima Beispiel: Kommunikation ist wichtig für jede Beziehung. Ohne Kommunikation bräuchten wir Gedankenlese-Rubine, die in unsere Stirn eingelassen sein müßten, wie Marshal Rosenberg, der Schöpfer der ‚Gewaltfreien Kommunikation‘ augenzwinkernd sagte, um herauszubekommen, was im Anderen lebendig ist. Nur mit Kommunikation kann ich mich zeigen, nur mit Kommunikation kann ich die Anderen erleben. Es gibt also entsprechend stürmische Zeiten, in denen vermutlich eine Menge Kommunikation erforderlich ist – und es mag harmonische Zeiten geben, die mit sehr wenig auskommen. ‚Kommunikation‘ ist demgemäß wie ein Hebel oder ein Regler auf einer Skala. Überhaupt hat ‚Kommunikation‘ in dem Sinne sehr viel von einem Werkzeug, denn es ist umso dienlicher, je hochwertiger es ist. Das ist auch der Grund, warum soviele polyamore und gerade auch oligoamore Menschen sich ständig im guten Sprechen und im noch besseren Hören üben.“
„Und das mit dem Vertrauen ist also auch so ein ‚Regler‘?“
„Genau. Wenn Du sagst ‚Besitzanspruch‘ oder ‚Kontrolle‘ oder meinethalben sogar in Teilen ‚Eifersucht‘, dann liegt an der Wurzel all dieser Erscheinungsformen in den allermeisten Fällen ein Mangel an (wechselseitigem) Vertrauen. Vertrauen ist als ganz klar ein verstellbarer ‚Regler‘, weil das Verhalten der Beteiligten, ganz genau wie bei der Kommunikation, Einfluß auf den Punkt auf der Skala haben wird, an dem die Betroffenen miteinander stehen. So und jetzt kommt der oligoamore Faktor…“ „Och nö…“
„Oh ja. Denn Vertrauen (und gute Kommunikation genau genommen auch) ist abhängig von investierter und miteinander verbrachter Zeit. Ich muß dir an dieser Stelle vermutlich einen sehr langweilig klingenden Begriff sagen: ‚Vorhersagbarkeit’…“ „Puh….“ „Ja, puh, aber ‚Vorhersagbarkeit‘ ist für Menschen ein ganz wichtiges Ding, denn bedenke die Alternative.“ „Welche da wäre…?“ „’Unberechenbarkeit‘! Und das ist, was wir Menschen – zumindest in unseren Nahbeziehungen – gar nicht gut ertragen können (und was sogar erwiesenermaßen höchst ungesund ist).“
„Ok – aber was hat das jetzt mit unserem Thema zu tun?“
„Pass auf: Damit ‚Vertrauen‘ den beteiligten Parteien seinen Dienst erweisen kann, damit Besitzergreifung, Kontrolle oder Eifersucht nicht die Gewinner am Beziehungstisch werden, muß Zeit vergehen, in der die Menschen miteinander ‚Vorhersagbarkeit‘ und ‚Berechenbarkeit‘ erlangen. Genau dafür braucht es die ganz zu Anfang erwähnte Zeit. Und erst wenn aus einem gewissen Vorvertrauen berechenbare ‚Vertrautheit‚ entstanden ist, ist eine wirklich belastbare Beziehung entstanden. Unnötig zu sagen, daß dies kein statisches Ergebnis ist, sondern ein Prozess, der vermutlich immer mal wieder aufgesucht werden muß (was ich ja auch schon zum ‚Stein‚ sagte…)…“

„Gut“, mein Besuch stieß hörbar Luft aus. „Aber wenn das zutrifft, was Du mir bisher über Oligoamory erzählt hast und heute von der Insel gezeigt hast, dann könnten die Maßgaben der Oligoamory aber doch auf jedwede Kleingruppe von Menschen angewendet werden, die sich in einer gemeinschaftlichen Form im weitesten Sinne ‚verbunden‘ fühlen. Entfernung würde da keine Rolle spielen – und es würde irgendein gemeinsamer sinnstiftender Zweck als Grundlage ausreichen. Damit wäre Oligoamory doch auch auf kleine Interessengemeinschaften, Vereine, WG’s oder ähnliches anwendbar. Sogar auf Gruppen, die sich nur über das Internet kennen und überhaupt bloß auf diese Weise Kontakt halten…“
„Im Prinzip ja. Aber…“
„Ich wußte, daß es da auch ein ‚aber‘ geben würde…!“ „Aber“, lachte ich, „es heißt ja nicht ‚Oligo-Utility‘ sondern ‚Oligo-Amory‘. Jetzt haben wir so lange geredet, daß Du fast das Wichtigste aus den Augen verloren hast: Wir sprechen doch über emotionale, intime Beziehungen, von durch Liebe getragenen Verbindungen!
Von dem, was ich bisher weiß, würde ich darum sagen: Wenn von den Beteiligten eine tiefe emotionale Verbundenheit miteinander geteilt wird, dann entsteht eine buchstäbliche ‚Zugehörigen-Gemeinschaft‘, bei der es nicht länger bedeutungsstiftend ist, ob die darin befindlichen Verbindungen auch noch durch körperliche Intimität oder gar Sexualität unterstrichen werden. In so einer Gruppe ist Raum für z.B.den 80jährigen Großvater, genauso wie für asexuelle oder körperbehinderte Personen, natürlich auch für Kinder, für Menschen jeder Couleur, jeden Genders, jeder Berufung oder Begabung.
Ich würde sogar soweit gehen und sagen, daß, wenn diese tiefe wechselseitige emotionale Verbundenheit geteilt und gespürt wird, dies auch über Entfernung möglich ist, solange es den in einer solchen Verbindung Befindlichen jeweils zu ihrer vollen Zufriedenheit dienlich ist.
Ich glaube aber genau darum, daß dies niemals für unbegrenzt große Gruppen darstellbar ist, sondern eben auch einem übersichtlichem, menschlichen Maß gerecht werden sollte, ebenso wie dem für alle jederzeit noch erkennbaren ‚gemeinsamen Wir‘.
Diesbezüglich überlasse ich Gerald Hüther heute auch das Schlußwort:
‚Es gibt keine Freiheit ohne Verbundenheit. Aber Verbundenheit ist nicht Abhängigkeit. Wir Menschen sind in der Lage, unsere Beziehungen so zu gestalten, dass wir uns verbunden fühlen, ohne abhängig zu sein. Aber dazu müssten wir uns um die anderen kümmern oder zumindest bereit sein, all das, was wir haben, mit ihnen zu teilen. Unsere Nahrung, unseren Lebensraum, unsere Aufmerksamkeit, unsere Kraft, unser Wissen, unser Können, unsere Erfahrung.‘
– und, möchte ich hinzufügen, unsere Liebe.“



Dank an Kyle Glenn auf unsplash.com für das Bild der Habitatsphäre

2 Antworten auf „Eintrag 4“

  1. „Ich brauche wenigstens 6 Monate, um mich auf einen Menschen wirklich einzustellen und Vertrauen in die Beziehung aufzubauen. Ich kann das gar nicht nachvollziehen, wie manche Menschen 2,3 Beziehungen kurz hinter einander anfangen und dann von tiefen Gefühlen reden. “

    Zeit ist die wichtigste Ressource. Wir denken, wir haben nicht genug und doch geht sie nie aus. ?

    1. Wir leben (leider) in einer Zeit, in der der „Erwartungs-“ bzw. eher noch „Erfüllungsdruck“ sehr hoch ist.
      Ein neuer Mensch ist wie eine ganze unbekannte Welt. Da ist zu Beginn wechselseitig richtig viel Einlassung und Engagement von uns auf den Kennenlernprozess gefordert. Mancheine/r möchte dabei, auch weil die auszuhaltende Spannung in so einer Periode natürlich intensiv ist, lieber schnell „klare Verhältnisse“, damit in Kopf und Herz wieder Ruhe einkehren. Oder möglichst rasch die ersehnte Nähe herstellen, was über die körperliche Ebene natürlich oft erstmal am verheißungsvollsten wähnt.
      Häufig richtet man unter diesem selbstaufgebauten „Erreichungsdruck“ dann aber Kollateralschäden an, die mittelfristig die Beteiligten richtig „ins Schwimmen“ bringen können, weil man zu schnell ins tiefe Wasser geprescht ist, ohne sich und den Anderen wirklich im Blick zu haben.

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