Eintrag 26

Verbunden oder getrennt?

Nachdem ich nun ein halbes Jahr auf dem entlegenen Eiland der Oligoamory verbracht habe, komme ich nicht umher, diesen Zwischenbericht hier niederzuschreiben.
Denn so sehr mich die Insel und ihre freundlichen Bewohner in ihren Bann geschlagen haben, so frage ich mich gleichzeitig auch immer mehr, ob ich selber überhaupt für eine Expedition dieser Größenordnung bereit war – und bin.
Das ist ja so manches Mal die Herausforderung eines jeden Forschungsreisenden: Da bricht man mit Neugierde und Elan zu neuen Ufern auf – und ist manchmal trotz vermeintlich bestem Ansinnen nicht recht auf das vorbereitet, was man schließlich finden wird. Oder – oft ist es ja sogar so, daß man in gewisser Weise „mehr“ (oder „anderes“) entdeckt als man je zu hoffen gewagt hatte. Und sich plötzlich etwas unzulänglich einer größeren und sehr komplexen Wirklichkeit gegenüber sieht.
Als Forscher muß man dabei natürlich immer demütig eingestehen, daß es niemals „objektifizierbare Fakten“ als solche gibt. In alten Zeiten haben das die Wissenschaftler gerne mal geglaubt. Heute wissen wir längst, daß wir selber, die wir forschen, beobachten, zu verstehen suchen, eben keine neutrale „leere Tafel“ sind. Im Gegenteil, alles, was wir erforschen, beobachten zu verstehen suchen, stellt sich immer in den Kontext von dem, was wir in unserem Inneren schon mitbringen – es ist wie durch eine Art eigene Brille zu schauen, die wir eigentlich niemals abnehmen können.

Wenn ich in dieser Weise die oligoamoren Eingeborenen betrachte, dann kommt es mir ab und an vor, als ob uns doch mehr voneinander trennt, als ich zunächst gehofft hatte. Wie eine Art dicke Glasscheibe, die sich zwischen ihnen und mir befindet. Sie scheinen in einem Zustand zu existieren, den die Anthropologin und Autorin Jean Liedloff¹ „Das Kontinuum“ nannte – oder vielleicht besser verständlich mit dem Begriff des Autors Daniel Hess²: Sie leben in einer „Einheitsrealität“ ursprünglichen Glücks.
Wenn das mit der »Glasscheibe« zwischen ihnen und mir stimmen würde, dann würde das wiederum bedeuten, daß ich meinerseits hingegen in einer „Trennungsrealität“ existiere – und dafür gäbe es durchaus so einige Anzeichen. Und nicht nur dieses, daß mich die Oligoamoren manchmal etwas scheu „Ma’Vrik“ nennen – womit die Kinder hier übrigens auch einen aus dem Nest gefallenen Vogel bezeichnen – oder ein Tier, welches seine Herde verloren hat.

Wenn sich die Oligoamoren auf ihrem entlegenen Eiland eine gewisse kindliche Haltung bewahrt haben, dann hätten sie in der Tat noch einen wichtigen Teil „ursprünglichen Glücks“.
In bestimmt mehr als einem dutzend Expeditionseinträgen habe ich z.B. immer wieder um das so bedeutsame Kennzeichen der „Verbundenheit“ gerungen, die mir ein Kernpunkt der ganzen Oligoamory ist. Wenn die Eingeborenen hier nie aus diesem Paradies vertrieben wurden, dann verfügen sie über den großen Segen, daß sie niemals aus diesem Zustand gefallen sind. Täglich Verbundenheit zu erleben ist für sie selbstverständlich – und darum ist ihnen auch das Gefühl „ganz“ – also auch „heile“ – zu sein, niemals abhanden gekommen. Kein Wunder also, daß ich immer wieder fast ehrfurchtsvoll ihre Integrität bewundere und schätze – aber für sie ist dann ja „fortwährend aufrechterhaltene Übereinstimmung des persönlichen Wertesystems und der persönlichen Ideale mit dem eigenen Reden und Handeln“ auch keine Herausforderung wie für unsereins, denn für sie gibt es ja immerzu nur diese eine kohärente Einheit. Und nachdem ich diesen Satz hingeschrieben habe, wundert es mich auch nun nicht mehr, warum sie auf mich alle Zeit so energetisch wirken: Was für eine paradiesische Existenz, da ihre Gehirne auf diese Weise nahezu niemals in den Stress eines „Inkohärenz-Alarms“ geraten – und damit enorme Kapazitäten für friedvollere Prozesse und Kreativität frei haben.(zur Kohärenz siehe vorigen Eintrag 25). „Oligoamorer Flow“ müsste demgemäß eine geradezu phänomenale Erfahrung sein…

Was sagt mir das aber über mich, den Forscher?
Ich bin (leider) kein oligoamorer Einheimischer, ich bin vielleicht gerade mal ein Festländer mit non-monogamer Affinität. Ich stamme tatsächlich aus einer „anderen Realität“ – offenbar aus einer, in der ich mir den direkten Zugang zu einem allgegenwärtigen Gefühl von Verbundenheit sowie zu einer selbstverständlichen Einheit von Sein, Reden und Handeln verbaut habe.
Ich existiere also in einer „Trennungsrealität“.

Selbstverständlich ist es ziemlich leicht, nun diesen Zustand zu beklagen und darauf zu verweisen, daß ich es, als „Bewohner der alten Welt“ nicht besser wissen könne. Schließlich bin ich in einer Gesellschaft der Trennung aufgewachsen, in einem politischen System der Trennung und „die da oben“ sorgen tagtäglich dafür, daß weiterhin auch global vornehmlich das Trennende denn das Verbindende im Vordergrund des weltweiten Diskurses gehalten wird. Ein Klick auf jedes Nachrichtenportal und jedwedes soziale Netzwerk wird dies augenblicklich sehr leicht bestätigen.

„Trennungsrealität“, daß ist aber auch enorm praktisch. Denn auf diese Weise kann ich Kategorien erschaffen, ich erhalte Struktur, Ordnung in meinem Alltag. Und ist Systematisierung und Bewertung in diesem Sinne nicht auch ein kennzeichnendes Merkmal des gesamten Menschwerdungsprozesses? Es mag ja sein, daß die Schlange und ich Teil eines global-ökologischen verbundenen Gesamtzusammenhangs sind – aber am Ende war es schon für meine Vorfahren eine wichtige Eigenschaft, daß sie sich entscheiden konnten: Flucht oder Bleiben? Giftig oder ungefährlich? Anspannung oder Entspannung? Also haben Menschen schon immer täglich dutzende von grundsätzlichen Entscheidungen getroffen; um zu überleben, um sich fortzuentwickeln und um sich die Welt zu erschließen.
Es ist mir wichtig, an dieser Stelle so darauf hinzuweisen, daß auch „Trennungsrealität“ ein Teil der menschlichen Natur ist – ganz sicher ebenfalls der oligoamoren. Und daß Kategorienbildung und Bewertung per se nicht automatisch zu einem „Reich des Bösen“ gehören.

Trotzdem bin ich in meiner „Trennungsrealität“ in gewisser Weise tatsächlich „aus dem Paradies vertrieben“. Denn das, was während der Evolution – und heute noch im Straßenverkehr z.B. – mein Leben sichergestellt hat, daß stellt sich mittlerweile auch auf eine subtile und oft unbewußte Weise gegen mich: Meine Ängste.
Im Neolithikum oder bei Extremsportarten sind sie ja allemal sinnvoll: Die Angst vor Freßfeinden, großer Höhe, vor Dunkelheit, davor allein zurückgelassen oder irgendwo eingeschlossen zu werden – dies alles sind lebensbedrohliche Situationen, vor denen schon unsere Instinkte uns warnen und bewahren wollen. Aber unsere Umwelt zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zumal in Mitteleuropa, wird davon längst nicht mehr bestimmt.
In Form von Grundgefühlen, in einer als bedrohlich empfundenen Situation, sind unsere Ängste als biologisches Erbe aber trotzdem geblieben. Und Ängste sind, wie oben beschrieben, eben genau ein Merkmal der kategorienbildenden „Trennungsrealität“: Gefährlich = Schlecht = Meiden // Förderlich = Gut = Aufsuchen.
Da wir Menschen jedoch soziale Wesen sind, und es noch niemals zuvor so viele von uns auf diesem Planeten gab, sind unsere heutigen Ängste vor allem soziale Ängste.
Der zu Beginn dieses Artikels erwähnte Daniel Hess nennt hierbei zuvorderst Angst vor Ablehnung und eventuell Strafe (inklusive Scham), Angst vor dem Alleinsein und Angst vor dem Tod (Begrenztheit, Endlichkeit).

Da Ängste fast immer intensive und buchstäblich markerschütternde Emotionen sind, führt unsere „Angst vor der Angst“ dazu, daß wir unsere Trennungsrealität dazu benutzen, all ihre Erscheinungsformen als „negativ“ zu bewerten – und versuchen sie, um sie nicht spüren oder aushalten zu müssen, sehr häufig stattdessen lieber zu vermeiden, zu bagatellisieren, zu leugnen oder zu verdrängen (was meist heißt: uns anzupassen).
Auf diese Weise trennen wir unsere Ängste, die ja eigentlich Warnzeichen an uns selbst für einen bestimmten Umstand sind, der dringlich zu bewerten wäre, von uns ab.

Der kürzlich verstorbene Familientherapeuth Jesper Juul nannte als wichtigste Werte³ seiner fast 50jährigen Beobachtungserfahrung „Gleichwürdigkeit“, „Integrität“, „Authentizität “ und „Verantwortung“.
Im Licht der „Trennungsrealität“ und unseres daraus entspringenden „Angstmanagements“ ist darauf bezogen gut zu erkennen – woher ein Hauptteil unserer derzeitigen persönlichen Probleme stammt (und warum ich z.B. mich von den Oligoamoren ebenfalls als „getrennt“ erlebe):

Verantwortung, die Jesper Juul konkret „Verantwortlichkeit“ nennt, übernehmen wir auf diese Weise für unser Sprechen und Handeln nämlich nur unvollständig. Der Teil, der an unsere eigenen Ängste rühren würde, ist dabei nämlich der Teil vom Eisberg, der unter der Oberfläche bleibt. Und aus unserer „Angst vor der Angst“ ist es uns auch auf eine etwas schaudernde, unbewußte Weise lieber, wenn diese Seite weiter unter unserer nach außen gezeigten Oberfläche verharrt. Denn für volle persönliche Verantwortlichkeit müssten wir uns zunächst mit den dortigen Ängsten und insbesondere dem, worauf sie uns hinweisen wollen, auseinandersetzen. Und dort lauern Scham vor uns selbst, vor unserer Unzulänglichkeit, unserer Begrenztheit, unseren Schwächen.
Verantwortung übernehmen – trotz dieser Unvollkommenheiten? Das ist ein noch selten geübtes, revolutionäres Konzept, dem auch ich mich noch kaum zu stellen wage…

Daß Authentizität (= echt und wahrhaftig sein) und die schon so oft von mir zitierte Integrität dabei wenigstens zum Teil auf der Strecke bleiben, ist noch viel offensichtlicher. Es muß auf diese Weise ja so sein, daß wir stets einen Teil unserer eigenen Persönlichkeit verschatten. Und das muß für unsere Gegenüber, gerade auch für die Liebsten direkt an unserer Seite furchtbar sein, insbesondere wenn sie unsere innere Ambivalenz und unsere Inkohärenz verspüren und sie sich vielleicht wiederum ihrerseits fragen, ob sie in irgendeiner Weise ursächlich für unsere Widersprüchlichkeit sind (die sich doch z.B. als Zynismus, Übertreibung oder Generalisierung äußern kann).
Und wir selber, die wir nie wagen, ganz und gar „echt“ zu sein? Werden darüber häufig depressiv oder wählen für unser Leben irgendeine Kulisse als Arbeitsmodus, die wir der Außenwelt dauerhaft präsentieren – damit niemand diesen vermeintlich häßlich ängstlichen Teil von uns entdeckt, mit dem wir es selber in uns leider aushalten müssen.
Kommunikationslehrer wie Dr. Brad Blanton, Marshall Rosenberg und Tich Nhat Hanh möchten uns genau darum mit einer manipulationsfreien und aufrichtigen Sprache zueinander bringen, damit wir uns trauen, zu unseren innerlichen Befindlichkeiten zu stehen und diesen auch Ausdruck zu verleihen – denn nur so können wir selbst und die anderen uns wirklich verstehen (Eintrag 20).

Was mir (und vermutlich vielen anderen auch) dann schließlich aber in jedem Fall den Weg zurück zur Einheitsrealität und zurück zur Verbundenheit verbaut, ist die ausbleibende Gleichwürdigkeit. Nicht nur „gleichwertig“ möchten wir sein, sondern „gleichwürdig“, das drückt Jesper Juul mit diesem Wort sehr schön aus. Und dies macht den Weg dahin so schwer. Denn irgendwo in mir gibt es einen ängstlichen Teil, bei dem ich tiefenverunsichert bin, ob der „ok“ ist. Nein, weil der ja ängstlich ist, bin ich nahezu schon überzeugt, daß er „nicht ok sein kann“.
Wer sich jemals mit Verhandlungsstrategien beschäftigt hat weiß, was es bedeutet, wenn eine Seite beim Versuch eines Interessensausgleichs den Eindruck von „ich bin nicht ok“ hat. Es bedeutet in einem Konfliktmodell die Haltung „lose“ (engl. „ich verliere“) einzunehmen. Wer in einer solchen Position feststeckt (und kein „win“ – engl. „ich gewinne“) herbeiführen kann, kann nur noch einen vermeintlichen Erfolg herbeiführen, indem die anderen Beteiligten auch verlieren müssen, also eine „lose-lose-Situation“ entsteht. Was am Ende soviel bedeutet wie „ich bin nicht ok“ – „die anderen sind auch nicht ok“.
Dieses Ergebnis wiederum verbindet sich in schrecklicher Weise mit unserer übrigen Trennungsrealität, denn zusammen mit Kategorien und Bewertungen entfalten sich dort Ausgrenzung und Machtspiele. Weil ich mir eines Teils meiner eigenen Würde nicht bewußt bin, gestehe ich auch den anderen die ihre nicht vollumfänglich zu. Und weil ich zum Überleben trotzdem vor mir selbst das Gesicht irgendwie wahren will, teile ich mir einen Selbstwert zu, über den ich irgendwie Macht ausüben kann (und sei es nur mit übler Nachrede).

Selbstverständlich entfalten sich so herrschaftliche Strukturen, formen sich ganze Gesellschaften und politische Systeme. Auch „die da oben“ mit dem „Willen zur Macht“ streben so an ihre Positionen und Posten.
Letztendliche sind dies aber die Symptome, die Wirkungen – und nicht diese sind es, die mich von meiner ersehnten Verbundenheit abhalten.

Ursächlich bin ich es selbst, in mir drin, der auf seltsame Weise vor sich selbst da und dort Scham empfindet oder schaudert, wenn er sich bei bestimmtem Denken und Handeln erwischt. Der an sich selbst merkt, wann er bestimmte Dinge bloß aus Angst tut oder sagt, der aber niemals zugeben würde, daß dies auf tiefster Ebene hinter seinen Motivationen steckt. Am schlimmsten ist es, wenn diese Ängste irrational sind, so daß man sich quasi selber in so einem Moment geradezu „verrückt“ vorkommt.
Oft sind es aber Ängste, die sehr konkrete Gestalt in uns annehmen können: Angst vor (so oft erlebter) Zurückweisung; Angst, ausgeschlossen oder allein gelassen zu werden. Oder es sind Ängste von Beschämung und Strafe (die wir mittlerweile mehr im Kopf auf uns selbst herabbeschwören), weil wir bemerken, daß wir etwas nicht so sorgfältig erledigt bzw. durchdacht haben – oder erledigen konnten, wie wir es eigentlich gewünscht hätten. Von sich selbst ertappt – ein scheußliches Gefühl…
Mit unserer eigenen Begrenztheit leben, vor uns selbst zugeben müssen, daß wir nicht alles beherrschen können, sehr viel weniger als immer perfekt sind, Schwächen und Ungeduld in uns haben, die manche Ziele wirklich außerhalb unserer Reichweite halten, ungestillte oder nicht genügend erfüllte Bedürfnisse, einige vielleicht nonkonform oder schwer kontrollierbar… – in so einigen Momenten kann das mehr Kraft kosten, als wir haben.

Ich schaue hinüber durch die Glasscheibe zu den Oligoamoren in ihrem Kontinuum, in ihrer Einheitsrealität.
Ich glaube, sie wollen mir zeigen, daß ich diese Kraft gar nicht aufzubringen bräuchte, nur weil ich glaube, daß ich immer vor mir selbst bestehen können muß.
Oligotropos, Du bist ein feiner Kerl! “ ruft gerade einer von ihnen – und wenn einen so ein ausgewachsener Eingeborener anschaut, dann glaubt man für einen kurzen Augenblick, daß man vollkommen durchsichtig wäre – und daß der dort drüben wirklich alles von einem meint, wenn er das so sagt.
Ich würde mich auch gerne so sehen.
Ich möchte Vertrauen wagen.
Und werde weiter die Glastür suchen.



¹ Jean Liedloff: „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit “, C.H. Beck, 2005

² Daniel Hess: „Glücksschule – Glücklich leben & freudvoll lernen“, Novum Verlag, 2014

³ Jesper Juul: „4 Werte, die Kinder ein Leben lang tragen“, Gräfe und Unzer, 2014

Danke an Andrew Ridley auf Unsplash für das Bild.

2 Antworten auf „Eintrag 26“

  1. Wieso bin ich denn nicht authentisch, wenn ich mein Gegenüber nicht komplett in mich hineinschauen lasse? Ich verheimliche nichts, aber möchte ich doch auch ein wenig bei mir selbst sein. Dabei erwarte ich von meinem Gegenüber das Vertrauen, dass es alles ok ist, dass wir verbunden sind, bedingungslos. Denn dieses Vertrauen bringe ich auch ein und pflege es, es ist auch nicht immer leicht, aber ich arbeite daran.
    Auch wenn wir nicht auf dem Eiland geboren sind, so denke ich, dass wir gemäß Liedloff diese tiefe Verbundenheit oder die Fähigkeit dazu in uns tragen. Bei mir ist das so. Zweifel habe ich auch, aber ich denke die gehören in so einem Prozess dazu…

    1. „…wenn ich mein Gegenüber nicht komplett in mich hineinschauen lasse“ – das ist in meiner Lesart das komplette Gegenteil von Authentizität. Wenn ich authentisch wäre, dann wäre ich doch immer ganz und gar „bei mir“ und mit mir selbst in Übereinstimmung. Da wäre es mir egal, was dann die Anderen um mich herum über mich dächten, plapperten, annehmen würden.
      Wenn ich Teile von mir für mich weiter als „eigenes kleines Königreich“ behalten möchte, dann ist das hingegen eine „exklusive“ Haltung, die – so wie ich Jean Liedloff und Daniel Hess auffasse – genau nicht dem inklusiven Kontinuum einer Realität von Einheit und Verbundenheit entspräche.
      Wir, die wir in Westeuropa mit einer gut etablierten „Trennungsrealität“ aufgewachsen sind, haben es auch schwer in dieser Hinsicht. Wir sind es gewohnt, das „Außen“ und die „Anderen“ als die Kerkermeister unseres Glücks anzusehen, die uns von einem befreiten Leben in Liebe und Vertrauen abhalten. Da ist dann „das System“ schuld, die Eltern, die Lehrer, die Partner…
      Weil wir es aber gewohnt sind, in diesen vielfachen Trennungen zu denken, übersehen wir dabei leicht, daß wir mit unserer eigenen inneren Zersplitterung am meisten zum Erhalt unserer Abtrennung beitragen. Denn Vertrauen und Aufrichtigkeit sind uns nicht gerade mit in die Wiege gelegt worden.
      Um heile zu werden, wünsche ich mir, daß wir beginnen, über uns selbst „inklusiv“ zu denken. Daß wir uns zu all unseren Bedürfnissen und Bedürftigkeiten, ja auch unserem starken Verlangen oder unserem Drängen bekennen – auch wenn wir das oft nicht so gerne anschauen oder uns dafür seltsam vorkommen. Schaffen wir es, uns auch mit diesen kleinen und größeren Schwächen selbst zu akzeptieren, dann werden wir auch keine Bedenken mehr haben, uns vollständig zu vertrauen – und anzuvertrauen. Das wäre ein Weg zurück.

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