Eintrag 71

Im Namen der Viel-Liebe

In diesem Eintrag möchte ich noch einmal über Polyamorie – welche ja gewissermaßen die Patin meiner „Oligo“-Amory“ ist – sprechen.
Polyamorie also.
Warum gibt es die Polyamorie und warum wollen wir sie leben?

Wenn ich durch den medialen Blätterwald on- und offline lese, so wie mich durch all die verschiedensten Foren zu dem Thema von Joyclub über Facebook (auch z.B. hier oder hier) bis hin zu Polytreff klicke, dann scheint mir der Begriff Polyamorie nach wie vor noch zu oft zum Zwecke der Bezeichnung jedweden promisken Ringelreihens mit mehr als zwei Beteiligten zu dienen. Und daraus einerseits nahezu all seine Faszination zu ziehen – aber auch andererseits all die dadurch entstehenden zwischenmenschlichen Probleme.

Das macht mich traurig. Und ärgerlich. Denn Polyamorie ist eigentlich so viel mehr. Selbst dieses kleine „eigentlich“ ist keine beschwichtigend einschränkende Floskel, sondern sehr bewußt von mir gewählt, denn das Wort „eigentlich“ bedeutet ja „zu eigen“ – also: „zum Wesen, zur inneren Natur gehörig“.

Was also ist es, was der Polyamorie „zu eigen“ ist, zu ihrem innersten Wesenskern gehört?
Dies scheinen mir vor allem drei Dinge zu sein, die alle sämtlich meist wie das Kind mit dem sprichwörtlichen Bade ausgekippt werden – und nahezu sofort vergessen sind, sobald sich Menschen unter dem Feigenblättchen „Polyamorie“ in ein Mehrpersonen-Getümmel stürzen.

Als bLogger, der sich dem Thema verbindlich-nachhaltiger, sowie vor allem ethischer Mehrfachbeziehungen verpflichtet sieht, ist es mir ein Anliegen, die von mir identifizierten drei Wesenskerne der Polyamorie noch einmal hervorzuheben, da aus meiner Sicht durch ihr Vorhandensein oder Fehlen das ganze Gebäude unweigerlich stehen oder fallen muß.

Die drei Zutaten, die vollkommen unzertrennbar in einem polyamoren Miteinander gemeinsam in Wechselwirkung stehen lauten für mich: Idealismus, Pragmatismus und Liebe. Oder – wem das zu bildungssprachlich oder zu abstrakt erscheint – : Uneigennützigkeit, Alltagstauglichkeit und wertschätzende Verbundenheit.
Die Immanenz dieser drei Kernbestandteile der Polyamorie sind nach meinem Dafürhalten keine „steile These“ – vielmehr sage ich sogar, daß kein Mensch ernsthaft das Label „Polyamorie“ für sich verwenden kann, der irgendein Mehrfachbeziehungsarrangement außerhalb ihres Rahmens führt.

Warum bin ich diesbezüglich so scheinbar streng und wie komme ich zu meiner Anmaßung solcher vermeintlichen Deutungshoheit?
Genau indem ich mir noch einmal vor Augen führe, wozu die Polyamorie primär einmal angetreten ist, welche Impulse die Menschen motivierten, die sie von Hause aus erdacht und umgesetzt haben, welche Vision von der Welt und von unserem Leben in dieser Welt gewissermaßen ihre „DNS“ geprägt haben.

In meinem Eintrag 49 zur „Geschichte der Oligoamory“ ehre ich den Personenkreis um die Visionäre, Autoren, und Neuheiden Morning Glory Zell-Ravenheart und Oberon Zell-Ravenheart, von denen erstere ursprünglich das Wort „polyamor“ prägte.
Dies geschah ihrerzeit nicht etwa aus einer Laune oder aus Phantasterei heraus, sondern staunenswerterweise ganz zuvorderst aus vordringlichem Pragmatismus.
„Not“, sagt man, „ist die Mutter der Erfindungen…“ – und es ist doch sehr häufig so, daß sich bestimmte Fragen – selbst weltanschaulicher Art – meist dann erst wirklich zur Lösung aufdrängen, wenn ein akuter Handlungsbedarf besteht. In dieser Weise erging es auch den Menschen um die Zell-Ravenhearts, die – nach intensiven Phasen zutiefst vertrauensvoller, in höchstem Maße selbstehrlicher wie selbstoffenbarender psychologischer wie auch spiritueller Gruppenarbeit – mit der Tatsache konfrontiert waren, daß sich innerhalb der Gruppe Liebesbeziehungen zwischen Beteiligten auszubilden begonnen hatten, die nicht notwendigerweise miteinander (ehelich) legitimiert verbunden waren – bzw. die vielmehr entweder mit anderen Personen aus diesem Kreis bereits in Beziehung standen oder auch mit ganz anderen Personen außerhalb der Gruppe.
Zur „Bewältigung“ dieses Umstandes hätten auch schon 1990 die damals etablierten Möglichkeiten von serieller Monogamie, Heimlichkeit/Betrug oder „Offener Beziehung“ zur Verfügung gestanden – doch die Zell-Ravenhearts wählten ausgerechnet die (neu zu erschaffende) Polyamorie…

Ich möchte genau hier darum noch einen kurzen Moment beim Pragmatismus verweilen, der ja eigentlich überhaupt anfangs den allerersten Stein ins Rollen brachte: Sachbezogenheit, Machbarkeit und Alltagstauglichkeit sind nämlich keine kleinen Nüsse, die es mal eben zu knacken gilt. Kein Ergebnis einer Koalitionsverhandlung oder Klimadebatte kann ohne diese Form von Erdung im „harten Licht der Realität“ zielführend sein – ja, noch mehr: dauerhaft Bestand in der Wirklichkeit haben. Machbarkeit in Form von Lebenstauglichkeit im Alltag sowie belastbare Langfristigkeit gehörten bei der „Polyamorie“ also überhaupt zu den wichtigsten Parametern der ersten Stunde.
Womit in meiner Interpretation also niemals kurzfristige Spielbeziehungen, Wochenendarrangements oder Workshop-Liebschaften gemeint waren, sondern vielmehr der Wunsch und auch die Selbstverpflichtung, das Geschenk einer Mehrfachliebe in eine vollwertige, berechtigte und funktionsfähige Beziehungsform mitten in den Leben der Beteiligten überführen zu können (und zu dürfen!) [siehe dazu auch meinen Eintrag 45 von der „Wunderbaren Alltäglichkeit des Seins“]. „Vollwertig“, „berechtigt“ und „funktionsfähig“ bedeuten damit sofort natürlich auch Offenheit (ja, auch Öffentlichkeit) und Ehrlichkeit, ebenso wie Augenhöhe und Teilhabe aller Beteiligten. Und es bedeutet Selbstverpflichtung und Verbindlichkeit, zum Funktionieren – also dem Selbsterhalt – der Gesamtbeziehung Beitrag zu leisten, mit dem vollen Programm von Übereinkünften, Herstellung von allseitigem Einvernehmen und auch gelegentlicher Selbsthintanstellung.
Womit „Pragmatismus“ der „Knäckebrotanteil“ der Polyamorie zu sein scheint… Aber ohne Realitäts-Check mithilfe des „Knäckebrotanteils“ wird es auch den „Schwarzbrot- (oder meinethalben „Torten-) Anteil“ einer wirklich von allen Parteien als „gemeinsame Beziehung“ angesehenen, vertrauensvollen, sicheren und berechenbaren Gemeinschaftlichkeit nicht geben, in der sich alle Dazugehörige als aufgrund ihres Eigenwerts geschätzte Mitwirkende erleben können.

Über den „Idealismus“ in der Polyamorie habe ich als Idealist daselbst hier auf dieser Plattform vermutlich bis heute am meisten geschrieben. Einen Idealismus, den ich oben mit „Uneigennützigkeit“ übersetze…
Wenn Du Dich also „polyamor“ nennen möchtest, welche Art „Mindset“ würde ich Dir dahingehend wünschen?
Die erwähnten Zell-Ravenhearts hatten sich, bis zu dem Zeitpunkt da die „Polyamorie“ als Lebensweise von ihnen formuliert wurde, mit idealistischen Inhalten gewissermaßen bis zum Rand gefüllt.
Es ging diesen Leuten um nichts weniger als um eine neue Welt – um ein neues Herangehen und um ein erneuertes Umgehen mit allem, was da im Kosmos enthalten ist.
Als Pragmatiker – die sie neben tüchtigen Denkern zugleich waren – wandten sie solcherlei Idealismus aber zuvorderst und nahezu von Anfang an auf sich selbst an: Konzepte wie „Gewaltfreiheit“, „Bewußtseinsschaffung“, „Integration“, „Engagement“, „Verantwortungsübernahme“ und „Verbindlichkeit“ sollten keine bloßen philosophischen Ideen bleiben, die in irgendeinem Wolkenkuckucksheim vor sich hin stauben würden. Mittels des in Eintrag 49 erwähnten Werkzeugs der MaslowschenSelbst-Verwirklichung“ bemühten sich diese mutigen Menschen darum, jeden Tag „ein bißchen mehr die beste Version ihrer selbst“ zu werden. Unehrlichkeit, Intransparenz, Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Unbewußtheit, und sich für-nicht-zuständig-Erklären waren dadurch keine Optionen mehr, die sie mit in eine angestrebte neue Welt von Gleichwürdigkeit, Teilhabe und Akzeptanz hätten mitnehmen wollen.
Als also plötzlich die Tatsache von durch Vertrauen und Miteinander entstandenen, erweiterten Liebesbeziehungen im Raum stand, gab es nachgerade nur die Option, deren Machbarkeit und (Er)Lebbarkeit innerhalb des selben ethisch hochwertigen Anspruchs zu verankern, der auch für alles übrige Denken, Sprechen und Handeln ausschlaggebend sein sollte.
Da die Zell-Ravenhearts durch die ihnen eigene Herangehensweise als Gruppenarbeit dadurch sowohl individuelle (also auf den Einzelnen abgestellte) als auch kollektive (also auf die Gruppe, das Gemeinsame, gerichtete) Ziele verfolgt hatten, floß nahezu unbemerkt eine weitere Komponente in die Polyamorie mit ein: Die Multiplizierung von Ressourcen und allseitiger Wohlfahrt, die ich auf diesem bLog regelmäßig als das Zustandekommen von „mehr als der Summe der Teile“ bezeichne.
Genau dieser überindividuelle Gesamtnutzen ist aus meiner eigenen Erfahrung eines der aussagekräftigsten Effekte gelingender Polyamorie, weshalb ich den Idealismus in der Anmoderation auch mit „Uneigennützigkeit“ synonymisiere: Gelingt es uns, uns selbst als Individuum nicht mehr ganz so wichtig zu nehmen, indem wir einem Ideal als Leitstern folgen, dann begeben wir uns – egal ob wir es jemals vollständig erfüllen werden oder auch nicht – auf den berühmten „Weg des größtmöglichen Mutes“, auf dem wir über uns selbst hinauswachsen können. Insbesondere, weil wir uns damit zugleich vor der Erkenntnis verbeugen, daß nichts im Universum wahrhaft „getrennt“ voneinander existiert und uns darum als bewußtseinsbesitzende Menschen – und umso viel mehr als Liebende – eine besondere Verantwortlichkeit für alles um uns herum obliegt.

Womit ich bei dem dritten Kernbestandteil bin, der es sogar mit in das Wort „Polyamorie“ mit hineingeschafft hat: Der Liebe.
Eve Rickert und Franklin Veaux (die Autoren des für mich nach wie vor großartigsten Polyamorie-Ratgebers „More Than Two“ ¹ – die sich mittlerweile leider miteinander zerstritten haben, exakt weil sie sich selbst nicht an die von ihnen formulierte wichtigste Regel in der Polyamorie „Sei kein Arsch!“ hielten…) nannten in ihrem Buch die Liebe „die große Klärungsfinderin der Werte“ [siehe auch Eintrag 64 „Bedeutsame Beziehungen“].
Und das ist sie auch, denn ohne sie wäre all das, was ich oben über Pragmatismus und Idealismus so schön zusammengetragen habe, nur hübsches – aber letztendlich lebloses – Stückwerk.
Mit „Liebe“ meine ich aber eben nicht dieses immer wieder zu leicht hineingelesene „Liebe machen“ – diesen spießigen, anglizistischen Euphemismus für sexuelle Aktivitäten aus den späten 40er Jahren des 20. Jahrhunderts ² [Ich mein, bitte!!! Wer sagt denn heute ernsthaft noch „Komm, lass‘ uns Liebe machen…“???]. Darum meine ich damit auch nicht vorrangig Erotik, Lust, Begierde und Leidenschaft (wiewohl ich ein Vorhandensein dieser Aspekte in Liebesdingen als eventuell gewinnbringenden Beitrag erachte…).
Oben setze ich „Liebe“ vielmehr mit „wertschätzender Verbundenheit“ gleich. Dieses „Superkonzentrat“ eines so komplexen Themas wie „Liebe“ begleitet mich, seit ich für Eintrag 14 erstmalig durch die Psychologen Cohen, Underwood und Gottlieb dafür die sehr einleuchtenden Einflußgrößen erhielt, daß wir a) „verstanden, bestätigt und berücksichtigt werden“, weil wir b) für das Selbstbild der anderen Liebespartner*innen von Bedeutung sind, dadurch c) belastbares Vertrauen in unser Angenommensein haben können, wegen d) dem Erleben von Wertschätzung für unser eigenes Selbst aufgrund unseres unveräußerlichen Eigenwerts.
Wertschätzende Verbundenheit, gut ja, kann ich also durchaus auch im Verlauf einer heißen Liebesnacht erfahren. Für unser Leben, für unseren Alltag – und damit für den weitaus größeren Teil unserer (scheinbar) profanen Lebenszeit ist es aber aus meiner Sicht noch viel bedeutsamer, wenn wir diese wertschätzende Verbundenheit in den vermeintlich „kleinen Dingen“ erkennen und widergespiegelt bekommen: Wer bringt mir im November ungefragt das Nasenspray aus der Apotheke mit, wer verabschiedet gerade liebevoll-unerbittlich die Kinder in den Schultag, wer harrt bei mir aus – auch wenn ich gerade schlecht drauf und wenig unterhaltsam bin, für wen wasche ich das Lieblingsshirt eine Maschine schneller, wer fährt jeden Tag zur Arbeit und verdient Geld für die Gemeinschaft, wer besucht mit mir meine quengelige Mutter, wessen Hund habe ich entflöht – auch wenn ich nie einen Hund wollte, wer nennt mich „Superschatz“, wen hole ich um 2 Uhr morgens an irgendeinem götterverlassen Ort ab, wer erzählt mir von den Verlassenheitsgefühlen, als in der Teenagerzeit der geliebte Opa starb?
Liebe ist dadurch für mich das große Band, welches letztendlich jedes Gesamtpaket aus Pragmatismus und Idealismus verbindet – und zusammenhalten wird. Eintragweise (zuletzt Eintrag 69) bringe ich immer wieder den hinter jeder (Liebes)Beziehung stehenden „Emotionalvertrag“ ins Spiel, bei dem es um die „Konkludente Anerkennung und Übereinkunft infolge einer gemeinsam begründeten emotionalen Nahbeziehung hinsichtlich der Gesamtheit der darin allseitig beigetragenen und potentiell zu genießenden freiwillig erbrachten Leistungen, Selbstverpflichtungen und Fürsorge“ geht. Das klingt zunächst sehr nüchtern, sehr nach dem von mir beim Pragmatismus erwähnten „Knäckebrot“. Aber es enthält auch all die Verheißungen von geteilter Gemeinschaftlichkeit, Vertrautheit und Intimität. Genau jedoch mit der „Liebe“ erst als Band und Umhüllung eines solchen Arrangements hingegen wird doch erst klar, daß wir darin nicht investiert sind, weil wir es wohl oder übel müssen, sondern weil wir es aus tiefster Überzeugung und von ganzem Herzen immer wieder aufs Neue WOLLEN.

Wer noch nicht überzeugt ist, mag den „Negativtest“ antreten – und aus einem vermeintlich polyamoren Geschehen einen der erwähnten Bestandteile herausdefinieren:
Eine Beziehung die von Liebe getragen und auch idealistisch uneigennützig ist – jedoch ohne pragmatische Komponente? Wird eine raumzeitlich begrenzte Flamme sein, die niemals einen wirklichen „Sitz im Leben“ der Beteiligten erhält. Mag eine ganze Weile durch diesen gewissen exklusiven Glanz bestehen, doch niemals einen Schleier von Abstreitbarkeit und Unverbindlichkeit verlieren.
Dann also lieber pragmatisch-sachbezogen, voller Liebe, jedoch ohne Ideale? Auch so eine Selbstverleugnung kann man eine Weile durchziehen… Einer solchen Verbindung wird allerdings eines Tages höchstwahrscheinlich die Liebe ausgehen. Entweder, weil alle daran Beteiligten sich schließlich einander so ähnlich geworden sind wie die sprichwörtlichen Hundebesitzer*innen ihren Hunden – oder weil durch fehlende Impulse von Weiterentwicklung eine lähmende Langweiligkeit irgendwann alle noch ausharrenden Insassen ergriffen hat. Oder sie fliegt sehr schnell in die Luft – an dem Tag, an dem die meisten Teilhaber*innen erkennen, daß sie von ihrem inneren Wesen her eigentlich nach völlig unterschiedlichen Dingen streben.
Und eine Verbindung – sowohl pragmatisch als auch idealistisch – aber ohne Liebe? Unsere Großeltern nannten das wohl ein „Socken-und-Bratkartoffel-Verhältnis“. Oder auch eine „Vernunftbeziehung“. Auf jeden Fall wird unser Herz darin kalt bleiben und im Regen sehnsüchtig mit hochgeschlagenem Kragen auf einer zugigen Brücke stehen. Was die Garantie für vorzeitiges Altern und Vergrauen ist – es sei denn man wäre eventuell ein von einem solchen Arrangement profitierender Narzisst, der seine Energie durch Ausnutzung der anderen in solch einem System bezieht, ohne selbst auch nur ein Fünkchen wahrere Zuneigung beizutragen…

Alle drei Negativtests sind mir leider auf dem „polyamoren“ Kontinent weitaus häufiger begegnet, als die faszinierende, allen Beteiligten förderliche Lebensweise, zu der das Konzept einmal komponiert worden ist: Eine Blaupause, um einvernehmliche, vollumfänglich transparente, durchweg aufrichtige, verbindlich-verläßliche und auf Alltagstauglichkeit angelegte Mehrpersonen-Liebesbeziehungen zu gewährleisten, deren innerer Raum durch Ressourcenvernetzung und allseitige Teilhabe das Potential zur Selbstentwicklung sowohl für die beteiligten Individuen als auch für die Gemeinschaft bzw. die Gesamtbeziehung erhält.

Und daher lehne ich, Oligotropos, die Verwendung des Begriffs „polyamor“ als (Selbst)Bezeichnung für all diejenigen Personen und Begehrenszustände ab, die dadurch überwiegend beschreiben wollen, daß mit mehr als einer weiteren Person vor allem irgendein erotischer Kontext geteilt wird – insbesondere weil für mich auf diese Weise das Potential sowie die Entstehungs- und Anwendungshintergründe der so präsentierten Beziehungsphilosophie ignoriert, mißachtet oder schlimmstenfalls vorsätzlich verschleiert werden.³




¹ Das leider bislang nicht auf Deutsch vorliegende Buch von Franklin Veaux und Eve Rickert „More Than Two – A practical guide to ethical polyamory“, Thorntree-Press 2014.

² Den Begriff „make love“ gibt es übrigens schon sehr lange, er bedeutete nur über weite Stecken seiner Existenz etwas anderes. Wenn z.B. in Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil im Originaltext „Pride and Prejudice“ von 1813 die Wendung „he made love to all of us“ gebraucht wurde, dann war damit keine Massenorgie gemeint, sondern schlicht freundschaftlich zugewandtes Verhalten in einer Gruppe.

³ Warum ich, Oligotropos, noch darüber hinaus dann von der Poly- zur „Oligo“-Amory übergegangen bin, erläutere ich u.a. ausführlich in Eintrag 2.

Danke an congerdesign auf Pixabay für das Foto!

Eine Antwort auf „Eintrag 71“

  1. Es ist doch eine gute Erklärung dessen, ich neige stark zum Pragmatismus.
    Je älter ich werde stelle ich immer mehr fest, daß alles eine Frage der Entscheidung ist. Eine Person kann nicht alle Bedürfnisse, meinerseits erfüllen, ich überfordere diese.
    Deshalb hat man
    Freundschaften. Solche sind das wahre Glück im Leben (lt. Epikur)
    Und oft ist es so, wenn man meint einen weiteren Partner oder einen neuen Partner zu brauchen, daß man da nicht mehr gewinnt, sondern vom Regen in die Traufe gerät.
    Denn Zufriedenheit allein in mir beginnt.
    Ich den Anderen nicht übervorteil, und Freiheit ist nicht Alles haben zu wollen sondern nicht Alles zu müssen.
    Von daher hängt wieder Alles vom jeweiligen Leidensdruck ab und der Weisheit im Umgang mit diesem.
    Danke für die den Blog, ich ziehe großen Gewinn daraus.

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