Sex und Wäsche
Bereits in Eintrag 9 auf diesem bLog, in dem es um den „geheimnisvollen Emotionalvertrag“ geht, der hinter den allermeisten zwischenmenschlichen Beziehungen verborgen ist, zitiere ich aus dem Polyamory-Ratgeber „More Than Two¹“ von Franklin Veaux und Eve Rickert. Darin scherzen die beiden, daß die meistgestellten Fragen hinsichtlich Polyamory „Wer macht die Wäsche?“ gefolgt von „Wer schläft mit wem?“ sind. In ihrem Buch widmen sie dann auch ein ganzes Kapitel (das 19.) dem Thema mit genau jener Überschrift, die ich auch für meinen heutigen Eintrag verwende – und geben gleich in den ersten Zeilen zu, daß Menschen in polyamoren Beziehungen wahrscheinlich gar nicht so viel Sex haben, wie man denkt.
Wäsche hingegen dürfte in poly- und oligoamoren Arrangements durchaus mehr anfallen, geht es hier doch um Personenverbindungen, die ganz buchstäblich aus „mehr als zwei“ bestehen.
Womit die hartnäckigere Frage dementsprechend lautet: Wer macht denn nun eigentlich die Wäsche?
Und warum ist diese Frage und ihre Antwort von Bedeutung für (Mehrfach)-Partnerschaften?
Sowohl auf meiner Startseite als auch in einigen für meine Oligoamory maßgeblichen Einträgen (z.B. Nr. 5 und Nr. 8) beschreibe ich, daß aus meiner Sicht die Führung von Mehrfachbeziehungen ganz wesentliche Elemente der „Gemeinschaftsbildung“ enthält, wie sie z.B. von dem US-amerikanischen Psychater Scott Peck formuliert wurde². Eben jenem Prozess also, der auch der Entstehung von WGs, Kommunen, Ökodörfern und anderen Gemeinschafts(wohn)formen zugrunde liegt. All diese Mehrpersonen-Beziehungen sehen sich nämlich sämtlich ähnlichen Herausforderungen gegenüber – unter anderem dem angesprochenen „Wäsche-Problem“.
Und wer bereits einmal z.B. in einer WG gelebt hat, weiß: Oft übernehmen solche „Aufräumungsarbeiten“ die Personen, die – wie ich es immer so gerne sage – das niedrigste „Filth-Level“ [= „Verschmutzungs-Schwelle“] haben (also die spezifische Empfindlichkeit ab einem bestimmten Verunreinigungsgrad der Umgebung zur Tat zu schreiten…).
Schon in WGs ist dies ungünstig und führt bekanntermaßen oft genug zu Streit um Aufgabenverteilung und geleisteter Menge an Beitrag – in Liebesbeziehungen mit mehreren Personen ist ein solches Setting noch aus ganz anderen, sehr persönlichen, Gründen problematisch.
Denn das von mir sogenannte „Filth-Level“ betrifft ja eben gar nicht nur den anwachsenden Wäscheberg. Der Wäscheberg ist in intimen, menschlichen Nahbeziehungen bloß ein Stellvertreter für verschiedene Probleme, bei denen irgendwann bei einer der beteiligten Personen das „Filth-Level“ überschritten wird und diese sich maßgeblich unwohl fühlen. Aber genau wie beim Wäscheberg oder den Krümeln auf dem Küchenfußboden sind es bei diesen Themen eben meist stets die gleichen Personen, die als erstes unter den sich nach und nach ansammelnden Umständen zu leiden beginnen.
Und ja, ok: Schmutzwäsche; Krümel, Staubmäuse – dies sind ja eventuell konkret sichtbare Phänomene, neben denen es aber wahrscheinlich noch eine weitere Anzahl verborgener „Ablagerungen“ im Getriebe jeder Beziehung geben kann, eben auch Stress, Anspannung, Unzufriedenheit, Frust, unterdrückte Konflikte etc., bei denen es aber als Resultat dann immer wieder die selbe Person ist, die sich dementsprechend von dem aufgestauten Druck am meisten beeinträchtigt erlebt und infolgedessen entweder – je nach Konstitution und Resilienz – explodiert oder zusammenbricht, in Aktionismus oder Resignation verfällt und/oder schlußendlich alleine versucht, die Sache irgendwie zu richten.
Da ich in Eintrag 9 den Gehalt des „geheimnisvollen Emotionalvertrag“ hinter jeder Beziehung quasi als Konzentrat folgendermaßen in Worte gefaßt habe: „Konkludente Anerkennung und Übereinkunft infolge einer gemeinsam begründeten emotionalen Nahbeziehung hinsichtlich der Gesamtheit der darin allseitig beigetragenen und potentiell zu genießenden freiwillig erbrachten Leistungen, Selbstverpflichtungen und Fürsorge.“ – sind mir zum Thema „Wer macht die Wäsche?“ noch einmal zwei wesentliche Dinge bei meinen eigenen Recherchen im weltweiten Netz aufgefallen.
►Zum einen natürlich auf der Beziehungsebene, der ja gerade in Mehrfachpartnerschaften noch einmal mehr Bedeutung zukommt – speziell je nachdem, wie viele Personen daran beteiligt sind.
Die in Kanada aufgewachsene, existenzielle Psychotherapeutin, Beraterin, Autorin und Kolumnistin für USA Today, Sara Kuburic, schrieb dazu vor kurzer Zeit:
»Beziehungen sind nicht passiv. Beziehungen ‚passieren‘ uns nicht. Beziehungen sind Co-Kreationen, die Absicht, Geduld, Lernen,Verlernen, Wiederlernen, Abgleichen, Entschuldigen, Vergeben, Kommunikation und Orientierung benötigen.«
Eine ausgezeichnete Präzisierung all der Dinge, die ich auch hier auf meinem bLog immer wieder behandle. Insbesondere was die von mir so oft betonte Bewußtheit hinsichtlich unserer Entscheidungen angeht. Aber in dieser Kurzform vielleicht nicht für jede*n nachvollziehbar genug.
Das dachte sich wahrscheinlich auch der Achtsamkeitscoach und Autor Jan Lenarz, der auf dem Auftritt seiner Webseite EinGuterPlan.de in den sozialen Netzwerken diese Worte aufgriff und folgendermaßen verdeutlichte:
»Klar, die Basis für eine erfüllte Beziehung ist in erster Linie erst mal eine Menge Glück. Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und ein Match gefunden zu haben – für eine Freund*innenschaft, für eine romantische Beziehung. Und die Familie, in die wir geboren wurden, ist ja auch nur Zufall und entsprechend Glückssache.
Treffen wir nun aber durch einen glücklichen Zufall einen Menschen, bei dem es irgendwie klicken könnte, dann das ja erst einmal nur eine Begegnung, eine Momentaufnahme. Quasi der Schlüssel zu einem Tor, das die Möglichkeit einer Beziehung eröffnet.
Beziehungen hingegen sind dynamisch und müssen aktiv gestaltet und gepflegt werden, um zu bleiben: indem man hinhört und nachfragt, Kompromisse eingeht, reflektiert, anpasst und kommuniziert. Diese Beziehungsarbeit sollte im besten Falle kein Knochenjob sein, bei dem sich eine Seite abrackert, sondern Teamwork. Denn nur so kann man gemeinsam etwas gestalten, in dem sich die Menschen, die Teil davon sind, auch zu Hause fühlen.
Eine zwischenmenschliche Beziehung ist also ein bisschen wie eine Topfpflanze. Keine ist wie die andere und jede hat ganz individuelle Bedürfnisse: Zu viel Wasser kann schädlich sein, zu wenig aber auch. Manchmal läuft jahrelang alles easy und plötzlich: Alarm – Trauermückenbefall! Erkenntnis: Nahezu unsichtbar winzige Schädlinge, die sich in der Erde einnisten, können den größten Schaden an den Wurzeln anrichten. Und dann fallen schon mal scheinbar grundlos und über Nacht sämtliche Blätter ab, wo eben noch alles prächtig erschien. Und die Rahmenbedingungen sind sowieso das A und O. Ganz egal, wie pflegeleicht so eine Pflanze wirken mag – ganz ohne Aufmerksamkeit geht selbst der robusteste Bogenhanf früher oder später ein. Darum ist spätestens, wenn etwas holprig scheint, ein passives Abwarten à la „Das wird sich schon wieder einrenken!“ weder in zwischenmenschlichen Beziehungen noch bei Topfpflanzen eine gute Erhaltungsmaßnahme.«
Sowohl Sara Kuburic als auch Jan Lenarz und seine Mitarbeiter*innen schließen sich also beide dem berühmten Sprichwort „Beziehung ist keine Einbahnstraße“ an, betonen dabei die immer wieder zu durchlaufende Prozeßhaftigkeit – die auch Scott Peck schon 1987 identifizierte – ebenso wie den wichtigen Charakter der „gemeinsamen Mitschöpfung“.
„Gemeinsame Mitschöpfung“ ist hier das Stichwort schlechthin, denn im Gegensatz zum Wäscheberg, bei dem es vielleicht gerade noch gut geht, wenn man dessen Bewältigung bloß einer Person überläßt, muss exakt diese „Mitschöpfung“ in einer ethischen Mehrfachbeziehung Anliegen und Privileg aller Beteiligten sein.
Das „Pflanzenbeispiel“ von Jan Lenarz‘ Seite illustriert es sonst doch nur zu gut: Läßt man die Beziehungsarbeit laufen, wird es eines Tages zum Problem des Schwellenwerts einer der involvierten Personen. Das Chaos, was regelmäßig danach in einer (Mehrfach)Beziehung ausbricht, trifft so ähnlich ein wie bei der oben skizzierten Pflanze: Denn für die übrigen Beteiligten sah bis vor einem Moment alles doch noch ganz wunderbar und harmonisch aus – und mit einem überraschendem Mal entbrennt Unfrieden – scheinbar ausgehend von nur einer Person, die ihrerseits zu ihrem angesammeltem Leid nun auch noch den Unmut der Gruppe als ausgemachter Störenfried ertragen muß.
Oft enthüllt erst der Scherbenhaufen, daß kollektiv das Wunder Mehrfachbeziehung über zu lange Zeit für selbstverständlich gehalten wurde, bzw. daß schon bei Beziehungsbegründung Bedürfnisse, Wünsche oder auch Befürchtungen Einzelner nicht gut genug ausgedrückt, gehört und berücksichtigt wurden.
Gehört?
Ausgedrückt?!
Genau – „ausgedrückt“ – womit ich beim zweiten Punkt wäre.
► Denn zum anderen gibt es auch noch eine individuelle Ebene, die, wenn sie nicht geklärt genug ist, die schönste gemeinschaftliche Mitschöpfung gefährden kann.
Am eindrücklichsten beschreibt aus meiner Sicht die Schriftstellerin Hailey Magee, US-amerikanische Autorin und Coach für die Genesung von Co-Abhängigkeit, dieses Dilemma: Unsere Bedürfnisse, Wünsche oder Befürchtungen hinsichtlich einer sich abzeichnenden (Gesamt)Beziehung müssen wir nämlich wenigstens ausdrücken können, damit die anderen Beteiligten uns dahingehend auch hören und beherzigen.
Leider ist unser Selbstausdruck aber gelegentlich defizitär. Oder zumindest biographisch beschädigt, je nachdem z.B. wie unser Aufwachsen war, wir elterliche Bindungsstile erlebt haben – oder welche Erfahrungen wir aus Vorbeziehungen mitbringen.
In einem Vorab-Auszug aus ihrem 2024 erscheinendem Buch³ versucht Hailey Magee daher Licht auf unsere Motivationen zu werfen, wie und warum wir uns in Beziehungen einbringen ( – und mit unserem Startbeispiel des Wäscheberges im Kopf funktioniert das Hineindenken in ihr Modell ausgezeichnet…).
Wenn wir ungünstigen Denkmustern unterliegen, die wir vielleicht in unserer biographischen Vergangenheit erlernt haben, dann, so benennt es Mrs. Magee, unterliegen wir vielleicht einer Motivation, die sie „Anpassung“ bzw. „Gefallenwollen“ (wortwörtlich People-Pleasing, also in etwa „Leute-Zufriedenstellen“), nennt.
Anpassung und Gefallenwollen wurzeln allerdings in Motivationen, die für gelingende, gleichberechtigte Beziehungen auf Augenhöhe, in denen wir uns akzeptiert und geborgen fühlen können, eher kritisch sind. Diese sind vor allem:
Pflichterfüllung: „Ich muss das tun, sonst fühle ich mich schuldig.„
Geschäftsdenken: „Ich gebe dir X, damit du mir Y gibst.“ – oder
Verlustangst: „Ich tue das, weil ich Angst habe, dich zu verlieren.“
Ich gebe zu, daß es wahrscheinlich schwer ist, erst einmal vor sich selbst zuzugeben, daß solche Gedankengebäude in einem selbst hinsichtlich Beziehungsführung existieren. Vermutlich ist es noch einmal schwieriger, dies seinen Lieblingsmenschen gegenüber zu tun. Für ein zu errichtendes „Gemeinsames Ganzes“, was eine (Mehrfach)Beziehung aber werden soll, ist so eine Bewußtmachung von enormer Wichtigkeit. Und wenn uns dies erst einmal in uns selbst gelingt, dann gibt es auch eine viel bessere Chance, solche Muster, so sie erneut versuchen sich in unsere Beziehungen zu drängen, zu identifizieren – und schließlich auch immer geübter aus ihnen auszusteigen. Und da Gefallenwollen und Anpassung eine Menge mit unserem Selbstwert zu tun hat, ist Stärkung und Heilung an dieser Stelle ebenfalls ein bedeutender Teil unserer Eigenfürsorge, die in dieser Hinsicht vor allem uns zu gute kommt und der wir uns wert sein sollten.
Wenn wir nämlich nicht mehr aus Anpassung und Gefallenwollen heraus agieren, dann wird es immer öfter allerbeste und unverfälschte Zugewandtheit sowie Freundlichkeit gegenüber unseren Lieblingsmenschen sein, die sich laut Mrs. Magee mit folgenden Motivationen zeigen:
Herzenswunsch: „Ich will das unbedingt (von mir aus) tun.“
Wahlfreiheit: „Ich könnte dazu ja oder nein sagen, und ich entscheide mich dafür, ja zu sagen“.
Wohlwollen: „Ich tue dies, weil ich deine Lebensqualität verbessern möchte.“
Gelingende Mehrfachbeziehungen bleiben also weiter interpersonelle Treibhäuser und Werkstätten, in denen sowohl das „gemeinsame Wir“ als auch die individuelle Aufgestelltheit der Mitwirkenden immer wieder inspiziert, gepflegt und gefördert werden (sollten😉).
Schließlich sind es dadurch auch immer wieder alle Beteiligte, die am Ergebnis Anteil haben und davon profitieren – egal ob es sich dabei um die Wäsche oder intensive Gefühle handelt.
Wichtig scheint mir, dabei nicht zu streng mit uns selbst und den anderen umzugehen, denn nahezu niemand von uns geht gemäß Mrs. Magee als bereits voll entwickeltes, selbstloses und unbeschriebenes Blatt ins Rennen.
Und manchmal hilft uns die Liebe selbst, mit ihrer Beständigkeit und Geduld. Denn wie heißt es in der US-amerikanischen Krimiserie „Der Finder“ in Staffel 1 Folge 5 [„Der Feuertrick“]
»Es gibt Dinge, die kann man nicht lernen. Manche Dinge kommen nur durch Zeit und Erfahrung.«
¹ Das leider bislang nicht auf Deutsch vorliegende Buch von Franklin Veaux und Eve Rickert „More Than Two – A practical guide to ethical polyamory“, Thorntree-Press 2014.
² Scott Peck, Gemeinschaftsbildung – Der Weg zu authentischer Gemeinschaft. (Original: „A Different Drum“) Eurotopia 2007, 3. Auflage. 2014
³ Hailey Magee, „Stop People-Pleasing and Find Your Power“ (Simon & Schuster)
Danke an Pablo Heimplatz auf Unsplash für das Foto und an meinen diesmaligen Muserich Wolfram, dessen informativer News-Feed mich mit vielen Impulsen für diesen Eintrag in Verbindung brachte.