Eintrag 107

„Jetzt bin ich aber mal dran!“

Die Welt macht es uns vor: Egal ob in den USA Donald Trump mittels schlichter aber nichtsdestoweniger lauter Parolen die diesjährige Präsidentschaftswahl gewinnt – oder in Deutschland der derzeitige Bundeskanzler Olaf Scholz durch die Entlassung seines mißliebigen Finanzministers die Regierungskoalition zum Kollabieren bringt: „Jetzt bin ich aber mal dran!“ Endlich einmal unwidersprochen seinen eigenen Willen durchsetzen können, es richtig krachen lassen – wie wunderbar das wohl sein muß…
Und was da im Großen geschieht – und weil es im Großen geschieht, so wollen wir irgendwann auch einmal unseren Teil gleichermaßen behaupten. Zum einen, weil es ja mittlerweile ganz offensichtlich en vogue zu sein scheint, ohne allzu viel Rücksicht auf Verluste zuzugreifen, wenn die Gelegenheit gekommen ist. Zum anderen, weil sich dazu noch so ein „jetzt-erst-recht / Sch#-egal“-Gefühl gesellt, da die Welt gerade eh verrückt zu spielen scheint – und da will man wenigstens nicht die*der Letzte sein, beim scheinbar allgegenwärtig hereinbrechenden Schlußverkauf.
Wäre doch auch blöd, noch länger zu warten. Und dann noch dazu all diese kleinlichen Hindernisse und Regularien, die eine eigentlich ganz einfache Sache bloß unnötig kompliziert machen. So etwas haben sich vermutlich Kommunisten ausgedacht, Ökofreaks oder anderweitig feministisches oder gar queeranarchistisches Volk.
Egal.
Ich will jetzt eine*n weitere*n Partner*in! Und ich will dann auch sofort Sex.
Was ich nicht will ist, zuvor über lästige Gegengründe wie Transparenz, Aufrichtigkeit, Berechtigung und Gleichwürdigkeit (allein schon dieses Wort ^^!) nachzudenken, zum Teufel damit, ich komme andernfalls ja überhaupt gar nicht zum Zug. Sonst wird wieder alles zerfasert, zerdacht und kaputtdiskutiert. Wer etwas will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe. Und all das hat unserem Glück nun wirklich lange genug im Weg gestanden, nicht länger:
Heute sind wir mal dran!

Auch so eine Herangehensweise kann man in der Welt der Nicht-Monogamie versuchen. Und das wird auch getan, gar nicht so selten, was gesellschaftlich und medial seinen Teil dazu beiträgt, Mehrfachbeziehungsformen wie der Polyamory einen ausdauernd zweifelhaften Ruf zu bescheren.
Vor allem aber läßt es sowohl bei den Betreiber*innen solcher „Brechstangen-Strategien“ wie auch bei denjenigen, die unversehens Teil eines solchen Handelns wurden, Frustration und oft dazu eine Reihe gebrochener Herzen zurück: „Mehrfachbeziehungen? Das ist nur Kuddelmuddel, ständige Irritation und Schmerz, habe ich probiert, klappt eh nicht…!“

Funktionierende Demokratien und ethische Mehrfachbeziehungen, wie die Poly- oder Oligoamory scheinen sich demnach offenbar mit ähnlichen Problemen herumzuschlagen. Sogar im argumentativen Diskurs. Was ist da los?

Ich möchte mich an einer Antwort versuchen – natürlich vor allem in Sachen Mehrfachbeziehungen. Aber dabei gibt es zur Demokratie immer wieder Parallelen, was in der Natur der Sache liegt.

Denn z.B. ist die 1990 von der paganen Priesterin und Feministin Morning Glory Zell-Ravenheart formulierte „Polyamory“ ja eigentlich noch gar nicht so alt, um romantischen Verhältnissen zwischen mehr als drei Personen eine „Beziehungsverkehrsordnung“ mit auf den Weg zu geben.
Fun fact: Das Wort „Beziehungsverkehrsordnung“ benutzte Morning Glory quasi wortwörtlich in jenem allerersten Text, in dem zum ersten Mal im modernen Kontext das Wort „polyamor“ auftauchte¹ – im Englischen war es die Phrase „Rules of the Road“, welche eben genau als technischer Term auch für das im Deutschen verwendete Wort „Straßenverkehrsordnung“ steht.

Hätte es nicht ausgereicht, bei der „Freien Liebe“ zu bleiben, die aus der sexuellen Revolution der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hervorgegangen war?
Damals eine Anti-Establishment-Bewegung, die mit verstaubten moralischen Regeln brach, die zur Selbstermächtigung der Beteiligten aufrief und dadurch auch das Streben nach unmittelbarer körperlicher und seelischer Bedürfnisbefriedigung zum Anerkenntnis und zur Berechtigung aller Menschen erklärte.
Von den Blumenkindern auf den Straßen San Franciscos fast schon eine ur-US-amerikanische Agenda: „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“ (engl.: „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ ²). Genau jene Prinzipien übrigens, von denen z.B. aktuell auch Donald Trump sagt, daß er diesen in den USA wieder „mehr Geltung“ verschaffen will…

Mit verstaubten Regeln zu brechen, überkommene Ansichten zu revolutionieren und Menschen zu berechtigen ist großartig und hat seine ganz eigene Kraft. Ohne diese Revolution in den 60ern und 70ern hätten Menschen es vermutlich weiterhin noch lange Zeit nicht gewagt, von da ab mutiger ihre Sexualität und ihr Leben in verschiedenen Beziehungsformen zu erproben.

Etwas mehr als 20 Jahre später führte genau dieses Erproben zu erweiterten Erkenntnissen:
Allein Menschen zu berechtigen, ist nur ein Teil einer Erfolgsgeschichte.
Das ist quasi ikonisch an einer der ältesten „Berechtigungen“ der Menschheit abzulesen – womit ich in der Bibel aus dem 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 1, Vers 28 meine, der lange Zeit als „Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier…“ übersetzt und verbreitet wurde. Was nach und nach zu einer „Selbstbedienungsmentalität“ an unserem Planeten führte, mit deren Folgen wir nun im 21. Jahrhundert auf das Dramatischste konfrontiert sind…
Denn wenn erst auf diese Weise aus Berechtigung und Selbstermächtigung irgendwann oft genug ein autoritär-trotziges „Jetzt bin ich aber mal dran…!“ abgeleitet worden ist, dann liegt auf der Hand, daß es eines Tages vermutlich nichts mehr geben wird, was noch ge- oder verteilt werden kann.

Knapp 20 Jahre nach der „sexuellen Revolution“ zeigte also nicht nur unser Planet erste deutliche Gebrauchsspuren, sondern auch viele Beziehungsexperimente bewiesen, daß der Faktor „Nachhaltigkeit“ dringend einen Platz in der Gleichung benötigte.

Und „Nachhaltigkeit“ kommt bekanntlich in zwei Stufen:

►Die erste Stufe ist die Wahrnehmung dessen, daß eine lediglich entfesselte Selbstbedienungsmentalität sich selbst nach und nach die Existenzgrundlage entziehen wird. Eine Revolution, die einst aus guten Gründen begonen hatte, wird sich am Ende selbst verzehren, wenn sie schließlich ihre letzten Grundlagen durch Überheblichkeit und Selbstsucht vernichtet hat.
Ressourcen müssen also verwaltet und aufgeteilt werden, damit ein möglichst großer Mehrwert für alle, die daran Anteil haben wollen, erhalten bleibt.
Letzteres Prinzip ist in der Ökologie so wichtig wie in gesunder Beziehungshygiene: Egotripping und intransparentes Handeln, um sich so auf Kosten der Anderen einen Vorteil zu verschaffen, beschleunigen den Weg in den Abgrund (auch wenn dieser für die, die rein eigennützig handeln, noch bis kurz vor dem Ende recht bequem erscheinen mag…).

►Die zweite Stufe war es vermutlich, die Morning Glory dazu bewegte, über ein Modell wie die „Polyamory“nachzudenken: Um anhaltende Funktionsfähigkeit und Langfristigkeit zu gewährleisten, muß Selbstermächtigung um den Schutz von Ressourcen und um Schutzrechte zu Gunsten der eigenen Integrität erweitert werden.
Oh!
Denn genau dieser Moment war es, in dem es mit den „einfachen Antworten“ der ursprünglichen Revolution vorbei war.
Aus: „Klar kannst Du soviele Partner*innen haben, wie Du willst und Sex haben, mit wem und so oft du dabei willst…“ wurde in diesem Moment „…aber die anderen Beteiligten sind dabei ebenfalls als ganze Individuen wahrzunehmen und zu hören, sie haben eigene Rechte wie du selbst – und bei einem Ganzen, von dem du profitieren möchtest und an dem du teilhaben willst, bist du gebeten im Gegenzug beizutragen, damit alle Mehrwert erleben und die Sache so ausgeglichen wie möglich bleibt.“
Spätestens mit dieser Erweiterung fand sich das Wörtchen „ethisch“ zu dem Wort „Mehrfachbeziehung“, was nun alle bekannten Werte, insbesondere Transparenz, Aufrichtigkeit, Berechtigung und Gleichwürdigkeit – aber dazu eben noch Berechenbarkeit, Wechselseitigkeit, Einvernehmlichkeit und ein Bemühen um Langfristigkeit versammelte.

„Gleich wieder so kompliziert…“, so höre ich es in den USA und in Deutschland seufzen. Dürften wir uns nicht wenigstens einmal der Zusage hingeben, daß wir das, was wir anstreben auch schlicht und einfach erhalten können, ohne ein Zuviel an Regularien?

Meine persönliche Antwort lautet: Nein, ich glaube nicht.
Ein „Ja!“ wäre natürlich an dieser Stelle so schön und einfach – aber meiner Meinung nach wäre es an eben dieser Stelle nicht ehrlich, wenn man es in Aussicht stellen würde.

„Früher, wenn sich die Gelegenheit bot, hat man einfach zugegriffen, da hat man nicht viel gefragt, einfach gemacht…“ Ok, da waren wir am Anfang schon: Genau, es ist dieses „Versprechen“ von Einfachheit, was so verführerisch wirkt, schnell zur Bedürfnisbefriedigung (welcher Art auch immer) zu gelangen.
Wodurch das, was ich oben mit etwas Augenzwinkern „Regularien“ oder „Werte“ nenne, als unglaublich hinderlich, kompliziert und damit als negativ wahrgenommen wird, weil es dem direkten Weg zum schon vermeintlich sichtbaren Ziel im Weg zu stehen scheint.

Ihr Leute: Genau das ist die Illusion, die heute u.a. populistisch so stark strapaziert wird:
a) Es sei bloß dieser unnötig „komplizierte Kram“, der uns von der Verwirklichung unseres direkten Glücks trennt. Wäre der fort, hätten wir es uns ja sogleich auf das Vortrefflichste erfüllt.
Und dazu:
b) Nach und nach ist alles zusätzlich immer komplizierter gemacht geworden, um uns auf jeden Fall davon abzuhalten, jemals überhaupt unser Glück erreichen zu können (plus Schuldzuweisung, setzen sie hier eine ursächliche Gruppierung ihrer Wahl ein).

Und das ist eine schlimme Verdrehung der Tatsachen.
Denn jene „Regularien“, jene Werte, sind wesensgemäß eine sehr gute Sache – und es ist fantastisch, daß sie existieren und von vielen mutigen Menschen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen zusammengetragen wurden.

Die Weltgesellschaft – und auch die Gesellschaft derjenigen, die sich wünschen, in Mehrfachbeziehungen zu leben – benimmt sich mittlerweile immer häufiger wie eine Person, die auf eine solidarische Krankenversicherung pfeift, weil sie ja eine robuste Gesundheit hat und stets bei vollen Kräften ist.
Was aber ist, wenn wir das selber einmal nicht sind? Was ist in dem Moment, in dem wir es sind, die Schutz bedürfen? Wenn wir darauf angewiesen sind, um überhaupt wieder auf die Füße zu kommen? Wenn wir dabei dazu noch auf die Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung angewiesen sind, daß diese uns Raum dazu gewähren – in einem Moment, in dem wir selbst nicht die Kraft hätten, einen solchen aufrechtzuerhalten?

Damit will ich sagen: Richtig, die Werte von ethischen Mehrfachbeziehungen sind kompliziert. Sie haben auch komplizierte Namen – und ihre Inhalte sind komplex, z.T. anspruchsvoll. Was dazu führen wird, daß sie im Alltag diskutiert werden, gelegentlich obendrein kontrovers.
Was wiederum für die eigene Wahrnehmung bedeuten kann, das mancher schnell geglaubte Weg zum erhofften Ziel erst einmal wegen dieser Bedingungen ein „Stop!“ erhalten kann.

„Früher konntest Du an jeder Ecke eine Imbißbude aufmachen… Und mit viel ehrlicher Arbeit hattest Du es nach ein paar Jahren geschafft. Heute brauchst Du in deiner Bude fließend kaltes und heißes Wasser, vor dem Frittenfett muß ein Schutzgitter sein – und wenn du gar jemanden einstellst, dann mußt du für den auch noch Sozialabgaben zahlen…“
Boah! Voll kompliziert, früher war alles besser – heute ist das alles schlechter…

Nein. Eben genau nicht. Ok, heute darfst du dich immer noch selbst ausbeuten – aber mit deinen Angestellten geht das eben nicht mehr so einfach. Das Gitter soll dich und deine Mitarbeiter vor Unfällen schützen, das heiße Wasser deine Kunden vor Magenverstimmung und dich damit vor Schadensersatzforderungen.
Genau mit solchen obigen Argumentationen kann man aber positive Errungenschaften zu Hindernissen erklären, zu „Überflüssigkeiten“, die es zum verheißenen Erfolg doch gar nicht braucht.

Wenden wir das auf unsere Beziehungen (und unsere Demokratien) an, so möchte ich sagen, daß wir es durchaus manchmal persönlich bedauern können oder als frustrierend empfinden mögen, wenn unser Weg zum Ziel durch andere Belange nicht so geradlinig verläuft, wie wir es gerne hätten.
Diese „Belange“ betreffen aber fast immer andere Menschen bzw. unsere unmittelbare Gemeinschaft, von der auch wir ein Teil sind.
Und im Umkehrschluß heißt das eben auch, daß beim nächsten Mal wir es sind, die davon profitieren werden, wenn jemand anders nicht einfach unsere persönliche Integrität als Abkürzung durchschneiden kann, bloß weil diese ihrem*seinem Ziel im Weg zu sein scheint. Und so etwas geschieht eben ja auch nicht immer nur dann, wenn wir – analog zu obigem Krankenkassenbeispiel – gesund und wehrhaft sind, sondern eben auch einmal, wenn wir Schutz, Wertschätzung, Solidarität, Verbundenheit oder etwas Freundlichkeit benötigen, schlicht weil wir ein (mit)menschliches Wesen sind.

Ethische Mehrfachbeziehungen und Demokratien sind sich in diesen Eigenschaften also sehr ähnlich – und es liegt an uns allen, beides zu schützen.
Denn auch der Gegenwind, der sich von Zeit zu Zeit erhebt – und teils heftig tobt – ist etwas, womit die zwei regelmäßig konfrontiert sind.

Wahlen (persönliche und nationale) gehen mit anderem Ergebnis aus, als wir uns das wünschen, Koalitionen und Beziehungen zerbrechen, Partner*innen finden nicht zusammen. Manchmal ist es mühevoll, zeitweise niederschmetternd, gelegentlich fühlen wir uns von der Welt – aber auch von unseren allernächsten Mitmenschen – trotz oder wegen unseres Engagements für die ethische aber darum eben kompliziertere Antwort abgelehnt und glauben deswegen vielleicht sogar, versagt zu haben.

In der US-amerikanischen Krimiserie Castle (Staffel 4, Folge 3 „Kopflos“) ermutigt der Protagonist Richard Castle (dargestellt von Nathan Fillion) seiner Tochter Alexis mit folgenden Worten: „Ablehnung ist kein Versagen.“ Woraufhin sie erwidert: „Es fühlt sich aber wie Versagen an.“ Und er antwortet:
„Nein, Aufgeben ist Versagen. Jede*r wird mal abgelehnt. Wie man damit umgeht bestimmt, was aus einem wird.“




¹ Das originalsprachige Dokument aus der Zeitschrift „Green Egg“ von 1990 befindet sich z.B. HIER als Quelle [Englisch]

² Das Zitat stammt natürlich aus der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776.

Danke an Alana Jordan auf Pixabay für das Foto!

Eintrag 106

Lang lebe die Königin!

Der fürstliche Sänger ist zutiefst unglücklich. Er schreitet durch den Ballsaal und läßt die ganze Welt an seiner Qual teilhaben, indem er singt:

»Ich will meine Ungebundenheit nicht
Es gibt keinen Grund mehr zu leben
Mit einem gebrochenen Herzen!

Dies ist eine verfahrene Situation:
Ich habe nur mir selbst die Schuld zu geben
Es ist eine einfache Tatsache des Lebens
Es kann jedem passieren…
Du gewinnst, du verlierst
Es ist ein Risiko, das man in der Liebe eingehen muss
Oh, ja, ich hatte mich verliebt
Aber jetzt sagst du, es ist vorbei und ich zerbreche

Es ist ein mühevolles Leben
Zusammen wahre Liebende zu sein
Für immer zu lieben und zu leben
Im Herzen des anderen
Es ist ein langer, harter Kampf
Zu lernen, füreinander zu sorgen
Einander zu vertrauen
Gleich von Anfang an
Wenn du verliebt bist

Ich versuche, die Scherben zu kitten
Ich versuche, die Tränen zurückzudrängen
Es heißt, es sei „nur ein Gemütszustand“
Aber es passiert jedem…
Wie weh es tief im Inneren tut
Wenn deine Liebe dich zurück auf den Boden der Tatsachen geholt hat
Das Leben ist nicht leicht, auf sich allein gestellt
Jetzt warte ich auf etwas, das vom Himmel fällt
Ich warte auf die Liebe

Ja, es ist ein mühevolles Leben
Wahre Liebende vereint
Für immer zu lieben und zu leben
Im Herzen des anderen
Es ist ein langer, harter Kampf
Zu lernen, füreinander zu sorgen
Einander zu vertrauen
Gleich von Anfang an
Wenn man verliebt ist

Ja, es ist ein mühevolles Leben
In einer Welt, die voller Kummer ist
Da gibt es Menschen, die nach Liebe suchen
Auf jede erdenkliche Weise
Es ist ein langer, zäher Kampf
Aber ich werde immer für morgen leben
Ich werde auf mich zurückblicken und sagen
Ich tat es für die Liebe…
Ja, ich tat es für die Liebe – für die Liebe…
Ooh, ich tat es für die Liebe!«

Was ihr gerade gelesen habt, ist der von mir ins Deutsche übersetzte Songtext¹ der Ballade It’s a Hard Life der berühmten britischen Rockband Queen, welche 1984 von deren genialem Hauptsänger Freddie Mercury sowohl geschrieben als auch erstmals vorgetragen wurde.
In dem Lied sind jede Menge Merkmale des „romantischen Narrativs“ verpackt – von der Selbstaufopferung (siehe Eintrag 34), die man auf sich nehmen sollte, wenn man eine Liebesbeziehung eingeht, über die komplette Sinnstiftung durch die andere geliebte Person, die dann dem Leben einen Grund gibt, bis hin zu dem alles verzehrenden Schmerz, wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Und auch das glücksspielartige Verlangen, um der eigenen Erfüllung halber es daher alsbals erneut in Sachen „romantischer Liebe“ zu versuchen, klingt am Ende an…

Eine Elegie, ein Lamento, eine Wehklage – und damit eigentlich schon eine Art Gebet um Erlösung von diesem gerade erfahrenen Schmerz – hat uns der aus Sansibar stammende, britische Dichter auf diese Weise dargebracht. Und so viele von uns, die es seit damals hörten und heute noch hören, können sich gut in diese Klage und dieses Flehen hineinversetzen.

Anrufungen und Klagelieder rund um die unglückliche Liebe scheint es seit Menschengedenken zu geben – aber muß uns diese Pein selbst im 21. Jahrhundert, welches uns doch eine zunehmende bunte Vielfalt an Beziehungsformen und -philosophien gebracht hat, denn stets immer noch so arg und mit voller Wucht treffen? Hat daher womöglich die „romantische Zweierbeziehung“ ausgedient – und würde uns weniger Leid und mehr Gleichmaß widerfahren, wenn wir stattdessen eher „pragmatische Zweierbeziehungen“ führten? Nüchterner eben, ganz ohne romantische Verflechtungen – aber dafür wenigstens zufriedener…?

Ein überraschend frische Erklärung für das, was unserer Beziehungsharmonie eigentlich vor allem im Weg steht – und welche gedanklichen und praktischen Schritte nachzuvollziehen günstig wären, um unser Liebesglück zu genießen, lieferte vor erst einem Monat einmal mehr die große Dame der Beziehungs(dynamik)forschung, Esther Perel.

Fast als hellseherische Antwort auf mein zu Anfang übersetztes „Gebet“ aus der Feder Freddie Mercurys verdeutlichte sie im Gespräch mit dem New York Times Autor und Podcaster Lewis Howes am 18.September 2024²:

»Dein „Seelengefährte“ war früher Gott, kein Mensch. Also das „Eine und Einzige“ war damals das Göttliche.
Und mit diesem „Einen und Einzigen“ will ich aber heute Ganzheit und Ekstase und Sinn und Transzendenz erleben.
Und ich werde darum noch zehn Jahre länger warten… Wir warten zehn Jahre länger, um uns auf jemanden einzulassen, um uns gegenüber jemandem verbindlich zu erzeigen. Also diejenigen von uns, die sich für einen „Jemand“ entscheiden… Und wenn ich länger warte, wenn ich mich umsehe und unter tausend Menschen wähle, die ich gerade zur Verfügung habe, dann, sei versichert, sollte derjenige, der meine Aufmerksamkeit erregt, derjenige, für den ich meine Apps löschen werde, besser der „Eine und Einzige“ sein!
In einer Zeit, in der sich die Auswahl an Möglichkeiten vervielfacht, haben wir gleichzeitig einen beispiellosen Anstieg der Erwartungen an eine romantische Beziehung. Wir haben noch nie so viel von unseren romantischen Beziehungen erwartet wie heutzutage in der westlichen Welt. Das ist ein enormer Druck: Wir brechen unter der Last dieser Erwartungen zusammen, denn eine ganze Gemeinschaft kann nicht zu einem Stamm von bloß zwei Personen schrumpfen. Dies (Gespräch hier z.B.) ist eine Party für zwei. Und mit dir (Lewis) und mir zusammen sollen wir nun beste Freunde, romantische Partner, Liebhaber, Vertraute, Eltern, intellektuelle Egos, Karrierecoaches etc. miteinander werden… Also, was immer man will. Und ich denke mir: „Ernsthaft!? Eine Person für alles? Eine Person anstatt eines ganzen Dorfes?“
Das ist also der erste Mythos. Und die Vorstellung von bedingungsloser Liebe, die damit einhergeht, ist, dass, wenn wir dieses „Eine und Einzige“ haben, ich das erlange, was du „Klarheit“ nennst, aber eigentlich eher in der Bedeutung von Gewissheit, von Frieden und Freiheit, also quasi Sicherheit.
[…]
Erhalte (stattdessen) eine Gemeinschaft um dich herum. Pflege tiefe Freundschaften, wirklich tiefe Freundschaften, tiefe Vertrautheit mit Partnern, mit Freunden, mit Mentoren, mit Familienmitgliedern, mit Kollegen! Das Wichtigste für mich, um gute Beziehungen zu gestalten, ist eine breite Vielfalt zu schaffen. Bei manchen Menschen mag das die Sexualität einschließen – bei der großen Mehrheit nicht.
Denn die wichtige Erkenntnis ist, dass es nicht „die eine Person“ für alles gibt und dass dies auch nicht bedeutet, dass ein Problem in eurer Beziehung existiert, wenn dies der Fall ist.
Der zweite Punkt
[der zweite Mythos] ist, dass man aufhören muss, die Menschen ständig als Produkt zu betrachten, indem man sie bewertet – und sich dadurch ebenso selbst bewertet. Denn in unserer Marktwirtschaft ist alles ein Produkt geworden, auch wir selbst. Und so scheint das „Verlieben“ zu dem Moment geworden zu sein, in dem die Bewertung des Produkts aufhört: Endlich ist man genehmigt, wenn man erwählt wurde und wenn man seinerseits eine Wahl getroffen hat.«

Wow, Frau Perel! Diese wenigen Interviewzeilen sind für mich nahezu eine oligoamore Offenbarung, da sie viel von dem noch einmal bündeln, was ich selbst an verschiedenen Stellen in diesem bLog zusammengetragen habe.
Die wichtigste Botschaft daran ist für mich, daß wir uns die „verfahrene Situation“, die Freddie Mercury besingt, einerseits mit unserer Erwartungshaltung – aber auch andererseits mit unserer Abhängigkeitshaltung selbst bereiten. Immanuel Kant, der „Vater der Aufklärung“, wäre vermutlich ebenso fassungslos, denn nicht die Fähigkeit, uns unseres Verstandes zu bedienen³, soll uns demzufolge heutzutage aus unserer selbstverschuldeten Abhängigkeit befreien – sondern die „romantische Liebe“ zu einer anderen Person.
Wobei das mit der „selbstverschuldeten Abhängigkeit“ so eine Sache ist, denn Esther Perel weist ja ebenfalls wie ich in meinen oligoamoren Überlegungen darauf hin, daß wir derzeit an einer Gesellschaftsform teilhaben, die sehr stark die Vereinzelung des Individuums und dessen Bewertung nach Leistungskriterien vorantreibt. Die romantische Verbindung zu einem anderen Menschen wird dadurch oft mit der weiteren Bürde belastet, als Beweis dafür herhalten zu müssen, daß wir es jenseits von Anspruch oder Leistung dennoch wert sind, um unserer selbst willen geliebt zu werden… Sollte es dann im Beziehungsgebälk knirschen – oder steht gar die Auflösung einer Beziehung im Raum (von der wir ja nach den momentanen Mehrheitsregeln möglichst nur „eine und einzige“ romantischer Art unterhalten dürfen!), sei es im besten Fall wegen „Neigungswechsel“ oder im schlimmsten Fall wegen vorgefallener Illoyalitäten – dann fallen wir so tief, wie es oben in „It’s a Hard Life“ beschrieben steht: Wir zerbrechen innerlich; unser Existenzgrund, der Sinn unseres Lebens daselbst, ist in Frage gestellt.
Und in einem sind sich Freddie Mercury und Esther Perel dann einig: Haben wir uns einem System unterworfen, welches nach diesen Regeln funktioniert, bleibt uns nur das erneute Hoffen auf etwas „das vom Himmel fällt“, in etwa wie ein Lottogewinn, zu dessen Zustandekommen man außer durch den Loskauf mit so gar keiner Art von eigener Initiative auch nur irgendetwas beitragen könnte… Erwartung und Abhängigkeit – eine Spirale, der wir nicht entrinnen können.

Aber weder wäre Freddie Mercury der geniale Songschreiber, der er war, noch Esther Perel die kluge Kennerin menschlicher Liebespsychologie, wenn nicht beide noch wesentlich mehr Botschaft in ihren Beiträgen untergebracht hätten.

Zunächst Meister Mercury, der die Eingangskadenz seines Songs mit den ersten Takten von „Ridi, pagliaccio!“ des italienischen Komponisten Ruggero Leoncavallos beginnt (die Melodie ist in Deutschland besser in der Version „Lache, Bajazzo!“ aus der zugehörigen Oper Der Bajazzo bekannt – daraus ist quasi ein geflügeltes Wort entstanden und beschreibt eine Situation, in der einer Person zum Weinen zumute ist und stattdessen dennoch eine „frohgemute Fassade“ nach außen zeigen muß…):
Obwohl die Machart des Songs und des dazugehörigen Videos es oberflächlich anders vermuten lassen – das lyrische Ich wurde verlassen, es leidet, es hat hohe Ideale in Sachen Liebe, die (wiedereinmal) von anderer Seite enttäuscht wurden… – befindet es sich vielmehr in genau dem „selbstverursachten“ Teufelskreis („du gewinnst – du verlierst“), den ich zuvor beschrieben habe. Freddie Mercury wollte also der Welt nicht einfach nur eine weitere melodramatische Liebesballade schenken – er war sich jener doppelbödigen Tatsache innerhalb seiner Komposition offensichtlich sehr genau bewußt und hinterließ einige subtile Hinweise, was sein eigentliches „Thema hinter dem Thema“ war.
Als Autor dieses bLogs (und daselbst bekennender Romantiker) freue ich mich in dem Queen-Song insbesondere an dem Refrain, in dem Mr. Mercury nichtsdestoweniger die Werte aufscheinen läßt, auf die es gleichwohl ankommt: Füreinander loyal einzustehen, Fürsorge und Rücksichtnahme aufeinander – und das basierend auf gewachsenem Vertrauen ineinander (da höre ich die Wissenschaftler Cohen, Underwood und Gottlieb aus dem letzten Absatz in Eintrag 14 – oligoamores Stammkapital!).

Womit Esther Perel ins Spiel kommt, an deren Veranschaulichung mir besonders gefiel, daß sie zwar in bester oligo- und polyamorer Weise zu einer dringenden „Diversifizierung“ des eigenen „Beziehungsportfolios“ riet – aber dabei ganz ohne den sonst so häufig in polyamoren Kreisen stereotyp zu hörenden Hinweis auf die persönliche Bedürfnisbefriedigung auskam (Damit meine ich das Pseudoargument, daß ja „niiiiiiiiie nur eine Person alle Bedürfnisse eines anderen erfüllen könne“ – und man allein schon darum mehrere romantische Beziehungen führen müsste… Meine explizite Kritik daran siehe Eintrag 85). Es wäre auch ein Leichtes, ihre Ausführungen in dieser Art zu (miß)verstehen – womit wir uns sofort in der von ihr kritisierten „Selbstbewertungsfalle“ wiederfinden würden – da wir in dem Fall ja der Anderen „bedürftig“wären, um uns als „ganz“ erleben zu dürfen (und die Verzweiflungsbotschaft aus „It’s a Hard Life“ hätte gewonnen…).
Das ist es nämlich nicht, worauf die streitbare Beziehungsforscherin mit ihrem Plädoyer hinauswollte. Esther Perel geht es um einen ganz wichtigen sowohl philosophischen wie humanistischen, sowohl queeren wie auch oligoamoren Grundsatz: Die (Selbst )Ermächtigung.
Exakt diese Selbstermächtigung wäre genau die beste Medizin gegen die zwei verhängnisvollen Seiten der selben unglücklichen Liebes-Medaille: Abhängigkeit und Erwartung.
In Sachen Beziehungsgestaltung ruft Frau Perel daher zu eigener, bewußter Proaktivität auf. Was für mich ebenfalls implizit den Hinweis darauf enthält, unsere gewachsenen oder bestehenden Beziehungen auf ihren Selbstermächtigungsgrad hin noch einmal zu untersuchen: In welchen Beziehungen darf ich als ganze Persönlichkeit bestehen – vereint mit der Flexibilität und dem Nicht-Anspruch, darin ein „Passepartout“ für jeden Zweifels- und Verzweiflungsfall darstellen zu müssen?
Indem Esther Perel aber auch ergänzt, daß es ihr trotz der „Diversifizierung“ auf Gemeinschaft, tiefe Freundschaft und innige Vertrautheit als Maßstab für gesunde Beziehungen ankommt, greift sie Freddie Mercurys Loyalität, Berücksichtigung und Verbundenheit auf, die immer wieder im Refrain von „It’s a Hard Life“ anklingen – wodurch sowohl der Künstler als auch die Wissenschaftlerin in dem Verständnis davon, was die „Kernwährung“ echter Beziehungen auf Augenhöhe ist, übereinstimmen.
Und beide stimmen eben auch darin überein, daß unsere Suche nach Geborgenheit und Angenommensein uns in tückische Untiefen wie Mißverständnisse und scheinbar unerklärliche Verzweiflung treiben können, wenn wir uns unhinterfragt einer normgesellschaftlichen Erwartung überlassen, die in der Sache gute Ideale mittlerweile vor einen seltsam schrillen Karren spannt, um uns zu unrealistischen Leistungen sogar in unseren intimen romantischen Beziehungen anzutreiben – im Gegenzug für die Verheißung nach menschlichen Maßstäben nicht erfüllbarer Gratifikationen.

Bewundernd sitze ich heute also sowohl vor dem 40 Jahre alten Songtext eines viel zu früh verstorbenen Genies als der auch vor der wenigen Wochen ausgesprochenen Lebenserfahrung einer aufmerksamen Beziehungs- und Menschenkennerin.
Das oligoamore Universum – es dreht sich und dehnt sich dabei aus, wie sein großes Vorbild.
Ich bin erneut dankbar, dabei zu sein!




¹ Der Songtext von „It’s a Hard Life“ im englischen Original HIER auf Genius – übersetzt von mir mit Hilfe der deepL-KI

² Lewis Howes in seiner Reihe THE SCHOOL of GREATNESS im Gespräch mit Esther Perel am 18. Spetember 20124: „Relationships Have CHANGED Forever“ als Auszug Englisch mit deutschen Untertiteln z.B. auf Facebook.

³ Immanuel Kant in seinem EssayBeantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? von 1784

Danke an Megan Watson auf Unsplash für das Foto!

Eintrag 105

Am Feuer der Ahnen

A -koo-chee-moya – Wir sind weit von den heiligen Stätten unserer Großväter entfernt. Wir sind weit von den Gebeinen meines Volkes entfernt. Aber an diesem Tag der Sorge und der Ungewissheit hoffe ich, dass die Weisheit meines Vaters mich findet und mir dabei hilft, mein Dilemma zu begreifen. Sprich zu mir, Vater. Sprich zu mir in meinen Träumen…
Dies sagt der von seinen Wurzeln her indigene Commander Chakotay, 1. Offizier in der US-Science-Fiction-Serie Star Trek: Raumschiff Voyager (Staffel 2, Folge 26: „Der Kampf ums Dasein Teil 1“ ) – und bittet auf diese Weise um eine Vision und innere Führung.

Um ethische Mehrfachbeziehungen wie Oligo- oder Polyamory scheint es gegenwärtig verhältnismäßig still geworden zu sein. Kein Vergleich zu der Zeit z.B. vor noch etwas über 5 Jahren, als deutlich regelmäßiger (zugegeben teilweise sensationalisierende) Presseartikel und Fernsehbeiträge unsere Lebensweise auf der medialen Bühne präsenter hielten als im Moment.

Gerade Letzteres muß darum ja nichts Schlechtes sein. Wenn die Wogen nicht mehr gar so hoch gehen, könnte dies doch ein Zeichen sein, daß sich seitdem auch manches zurechtgerüttelt hat. Daß sich die unstete„Goldfieberstimmung“ mit all ihren Unsicherheiten und Selbstfindungsbestrebungen ein wenig gelegt hat. Und das wiederum könnte für viele Teilhabende an ethischen Mehrfachbeziehungen bedeuten, daß diese just in diesem Augenblick gerade einigermaßen zufrieden und überwiegend störungsfrei schlicht ihrem Beziehungsalltag nachgehen.
Zu wünschen ist es Euch allen – was ich hiermit aus tiefstem Herzen tue!

Gleichzeitig schleicht sich in solch stilleren Zeiten auch gelegentlich die Sorge an, daß es eben genau nicht so ist.
Das gesellschaftliche Pendel schwingt spätestens seit der Corona-Pandemie (auf jeden Fall in Deutschland) eher wieder in die konservativere Richtung. Die vielzitierten „jüngeren Menschen“ unserer Demographie werden regelmäßig wissenschaftlich befragt – und siehe da: Überraschend traditionelle Vorstellungen zeichnen sich dort ab, insbesondere was das Streben nach Monogamie mit der Suche nach „dem einen“ Lebenspartner – und der Wunschtendenz hin zu der eigenen Kleinfamilie – abbilden…

War das Aufbrechen herkömmlicher Zusammenlebens-Modelle ab den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts also doch nur eine Art verspätete „experimenteller Phase“? Eine verzögerte letzte Blüte der hippiebunten 70er und der geschmacksverworrenen 80er, die noch einmal das unvoreingenommene Fließen der Liebe und ein barrierefreieres Miteinander feiern wollte?
Auch dafür finden sich Zeichen – speziell gemessen an unserer Jetztzeit, mit weltweiten Krisenherde wie im nahen Osten oder in der Ukraine, der resultierenden Preis- und Energiekrise, dem globalen Klimawandel und einer mißtrauischen Furcht vor weiterhin lauernden Pandemien, die von Flüchtligsströmen allzubald rund um den Erdball getragen werden könnten…
Da beibt doch kaum Raum für Liebe und Miteinander, eher wird sich auf sich selbst und zuvorderst bloß das direkte Umfeld konzentriert. Denn auf die eigenen Ressourcen ist zu achten; wieder einmal sind es die allzeit knappen Ressourcen, die das Diktat der Stunde vorzugeben scheinen.

Wie Commander Chakotay oben, ist es zu solch einem Zeitpunkt eventuell günstig, sich um das Feuer seiner Ahnen zu versammeln – und Einkehr zu halten, für eine hoffnungsvollere Vision, für eine Perspektive.
Was würden die „Ahnen ethischer Mehrfachbeziehungen“ uns wohl zuteil werden lassen?
Wer wären diese „Ahnen“ überhaupt…?

Nun, da fallen mir vor allem die mutigen Menschen der Kerista-Kommune in San Francisco ein, die als erste 1984 den Begriff „Polyfidelity“ pägten¹ (also: polyamore Treue und Loyalität unter mehreren Beteiligten einer geschlossenen Gruppe) und natürlich die große Dame der Polyamory, Mornig-Glory Zell-Ravenheart, die 1990 überhaupt erstmalig das Wort „Polyamory“ ² für ethische Mehrfachbeziehungen formulierte.

Zunächst würden uns diese „Ahnen“ möglicherweise gleich darauf aufmerksam machen, daß ihr eigener Weg und ihre eigene Vision auch nicht gerade in einträchtig-harmonischen Weltfriedenszeiten entstanden sind. 1984 wurden z.B. in der damaligen DDR die ersten sowjetischen Nuklearraketen aufgestellt, das Truppenabzugsabkommen zwischen Israel und dem Libanon wurde aufgekündigt (heute wie damals also Ähnliches im unheiligen heiligen Land…), allein in den Monaten Juli und August gab es vier große Flugzeugentführungen durch politisch und/oder spirituell motivierte Terroristen, und in Deutschland erklärte der Waldzustandsbericht bereits 50% der Bäume als unheilbar geschädigt.
1990 wiederum zerfiel die Sowjetunion in einem höchst fragilen Prozess in Einzelstaaten, im August begann der 2. Golfkrieg mit dem Irak (v.a. bekannt durch die von den USA geführte „Operation Desert Storm“ ), in Deutschland fand das terroristische Attentat auf den Innenminister Wolfgang Schäuble statt und im Rijksmuseum in Amsterdam wurde das weltberühmte Gemälde „Die Nachtwache“ von Rembrandt durch einen Anschlag mit Schwefelsäure zerstört…
Genug Gründe also auch damals, vor der übrigen bedrohlichen Welt „in Deckung zu gehen“ und sich ins private Kleinklein zu flüchten.

Und trotzdem experimentierte die Kerista-Kommune 1984 mit einer neuen Form des Zusammenlebens in einer Gruppe, die mehrere Menschen enthielt, die auf romantische und erotische Weise miteinander verbunden waren. Und da die Kerista-Kommune mit ihren Anfängen seit ca. 1956 schon aktiv war und 1971 noch einmal eine innere Umformung durchlebt hatte, waren ihre Mitglieder in ihrer geübten Nonkonformität stark genug, diesen Prozess auch noch zu protokollieren und daraus schließlich die erste erfolgreiche Idee der Vielfach-Treue – der „Polyfidelity“ – abzuleiten.
Über die neopagane Priesterin Morning Glory Zell-Ravenheart, die seit 1974 auch langjähriges Mitglied der liberalen spirituellen Bewegung „Kirche aller Welten“ (= CAW – Church of All Worlds) war, habe ich bereits ausführlich in meiner „Geschichte der Polyamory“ [Teile 1 | 2 | 3 | 4], insbesondere in Teil 3 (Eintrag 49) geschrieben. Morning Glory war bestrebt, eine praktisch lebbare, ethische Grundlage für mehrere sowohl in romantischer als auch erotischer Hinsicht verbundene Beteiligte zu schaffen. Über einen gesellschaftlichen Gegenentwurf hinaus, war es ihr dabei obendrein wichtig, dabei die (Gleich)Berechtigung, die Verbindlichkeit, die Aufrichtigkeit – sowie das Vertrauen in die Berechenbarkeit eines solchen Arrangements für seine Teilhabenden – zu betonen.

Den Kerista-Leuten und Morning Glory waren in ihren Ansinnen dabei ein größtmögliches Maß an Akzeptanz und Inklusion wichtig, da Ausschließertum – und genau das im Außen so oft vorherschende Grenzen Ziehen durch kleinteilige Partikularinteressen – ein Aufkommen von Gemeinschaftsgeist im Keim vergiftet hätten.
Diese visionären „Ahnen“ setzten ihr Zutrauen also in die Kraft (mit)menschlicher Gemeinschaft. Ich sage hier Zutrauen, weil sie alle am eigenen Leib in der Praxis genau das in ihren nahen (Mehrfach)Beziehungen bereits erlebt hatten, was ich auf diesem bLog das „Mehr als die Summe seiner Teile“ nenne.

In meinem Eintrag aus dem letzten Monat erwähne ich den US-amerikanischen Psychologen Steven Hayes³, der aufgrund seiner klinischen Erfahrungen betont, wie bedeutsam es für uns als Individuuen ist, zu unseren persönlichen Werten in guter Verbindung zu stehen. Verunsicherungsphasen durch unseren Alltag und aufgrund unserer Umwelt können dafür sorgen, daß diese Verbindung geschwächt wird, ja, uns sogar eine zeitlang ganz abhanden kommt. Zu äußerem Stress gesellt sich auf diese Weise eine buchstäbliche innere Zerrissenheit, in der es uns dann schnell so vorkommt – und wir sprechen hier doch über Mehrfachbeziehungen – als ob die Oligo- und Polyamory tot wären, auf jeden Fall aber wenigstens „sehr krank“: Mehrfachbeziehungen waren wohl doch nur eine Art „Phase“, wir selbst haben dieses Modell wohl nur gewählt, weil wir irgendein anders geartetes inneres Loch in uns flicken wollten, alle (!) anderen würden ohnehin nur nach monogamen Partner*innen suchen (und wenn wir uns nicht als solche zu erkennen gäben, wären wir geradewegs „unattraktiv“ bzw. „vom Markt“…), überhaupt: funktionierende, von Aufrichtigkeit , Verbindlichkeit und dem Gedanken an Langfristigkeit getragene, ethische Mehrfachbeziehungen würde es doch quasi eigentlich gar nirgendwo geben, zumindest kennt man keine einzige im weiten Umkreis, also was soll’s überhaupt…

A-koo-chee-moya.
Am Feuer unserer Ahnen dürfen wir unsere Zerissenheit, unsere Unsicherheit bekennen.
Am Feuer unserer Ahnen dürfen wir aber auch im Licht der Flammen, die die Dunkelheit zurückdrängen, wiedererkennen, daß die Grundwerte, die hinter guter Beziehungsführung stehen, weder tot sind, noch durch eine gleichgültige Welt relativiert. Daß sie es ja schon damals nicht waren, als sie erstmalig aus dem Dunkeln aufschienen, genauso wenig wie sie es heute sind.
Für mich ist das das Schöne und Tröstliche an ethischen Mehrfachbeziehungen. Es ist dieses kleine Wörtchen „ethisch“, was uns zuspricht: Hier gibt es Werte.
Diese Werte sind manchmal eckig, lästig, schwer einzuhalten, sie führen uns mitunter in Rechtfertigungen und Diskussionen.
Zugleich sind sie dafür beständig. Und sie reflektieren etwas, was uns selbst offensichtlich schon immer ureigen und zutiefst wichtig war. Sonst hätte uns dieses spezielle Feuer nicht angezogen, denn in der Wärme und Helligkeit seiner Flammen und seiner Glut haben wir einen gleichgesinnten Spiegel unseres eigenen, uns innewohnenden Funken gespürt…
Genau das ist wichtig, denn dieses Leuchten führt uns zu unseren inneren Werten zurück, die der Psychologe Hayes in seinen Ausführungen so betont. Werte, die von der äußeren Bedrohlichkeit und Verwirrung unabhängig sind, da sie schon viel länger als diese zu uns gehören. Werte, die darum auch Bestand haben, wenn die Parade vom Christopher Street Day durch Bautzen oder Frankfurt/Oder von Polizeikäften geschützt werden muß. Werte, die trotzdem Bestand haben, auch wenn wir gerade leider nicht selbst Teil einer ethischen Mehrfachbeziehung sind. Oder sogar im weiten Umkreis gerade nicht einmal eine einzige solche kennen und die Stille manchmal fast ohrenbetäubend scheint.

Eine Haltung mit Werten wie Unvoreingenommenheit, Integrität, Gleichberechtigung, Transparenz, Aufrichtigkeit, Verbindlichkeit, Loyalität und Nachhaltigkeit steht für sich selbst. Dazu muß ich nicht einmal Teil einer Nahbeziehung mit mehreren Personen sein. Sie begegnet mir bereits, wenn ich einkaufen gehe, mit meinen Mitlebewesen interagiere – ob ich eine Petition unterzeichne oder wählen gehe.
Da diese Werte nichtsdestoweniger aus dem „Feuer unserer Ahnen“ stammen, haben sie dadurch aber eben auch eine eigene (Anziehungs)Kraft, ein eigenes Licht. Und damit sind wir durchaus nicht allein, denn dieses Licht kann wahrgenommen und gefunden werden.
Von den Anderen bei uns, ja, sicherlich auch das. Aber wir können es ebenso umgekehrt bei ihnen erkennen und sie unsererseits entdecken – da wir doch jetzt durch den Aufenthalt am Feuer wieder wissen, woran wir uns doch ohnehin seit jeher orientieren.

Der schweizerische Lyriker Max Feigenwinter hat für mich mit seinem Werk „Schweige und höre“* übrigens auch eine Art Visions-Suche in Textform gebracht. Oder genau genommen sogar schon eine erste leise Antwort auf eine solche Suche:

vielleicht geht dir
in der Mitte der Nacht ein Licht auf

vielleicht hörst du unverhofft
eine neue Botschaft

vielleicht ahnst du plötzlich
dass Friede auf Erden denkbar ist

vielleicht erfährst du schmerzhaft
dass du Altes zurücklassen musst

vielleicht spürst du
dass sich etwas verändern wird

vielleicht wirst du aufgefordert
aufzustehen und aufzubrechen

schweige und höre
sammle Kräfte und brich auf
damit du den Ort findest
wo neues Leben möglich ist



¹ Das orginalsprachige Dokument aus dem Buch „Polyfidelity: Sex in der Kerista-Kommune und andere verwandte Theorien zur Lösung der Probleme der Welt, Darstellende Kunst Soziale Gesellschaft 1984″ befindet sich HIER – als Originalquelle bislang leider erst nur in englischer Sprache.

² Das originalsprachige Dokument aus der Zeitschrift „Green Egg“ von 1990 befindet sich z.B. HIER als Quelle, bislang ebenfalls nur in englischer Sprache.

³ Steven Hayes: „A Liberated Mind: How to Pivot Toward What Matters“, Avery (27. August 2019); deutsch: „Kurswechsel im Kopf: Von der Kunst anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden“, Beltz; 2. Edition (19. August 2020)

* Allerherzlichsten Dank für die höchstpersönliche Erlaubnis zur Verwendung seines Werks „Schweige und höre“ gilt Herrn Max Feigenwinter. Das Original stammt aus: „Einander Engel sein“ von Max Feigenwinter, Verlag am Eschbach; 1. Edition (17. Juni 2013) – sämtliche Nutzungsrechte liegen beim Autor.

Danke an Benjamin Nelan auf Pixabay für das Foto!

Eintrag 104

Schneller, höher, weiter?

Ein Jahr der Superlativen scheint 2024 werden zu wollen. Meine beiden vorherigen Einträge haben sich bereits auf die diesjährige Europawahl und auf die Fußballweltmeisterschaft bezogen.
Und nun sind gerade mit fulminanter Schlußzeremonie in Paris, Frankreich, die XXXIII. (33.) Olympischen Sommerspiele zuende gegangen.
Das mir als Überschrift dienende „Schneller, höher, weiter!“ (ganz korrekt von den urspünglich lateinischen Komperativen „Citius, altius, fortius!“ – wortwörtlich also: „Schneller, höher, stärker“ abgeleitet) ist dazu passend dann auch das traditionelle, 1894 von dem französischen Philologen Michel Bréal im Rahmen des Ersten Olympischen Kongresses vorgeschlagene, Motto aller Olympischen Spiele, die seit 1896 stattgefunden haben.

„Schneller, höher, weiter!“ – mittlerweile scheinen wir alle auch außerhalb der Olympischen Spiele von dieser Maxime angespornt, ja, getrieben zu sein – und gerade in ethischen Mehrfachbeziehungen drängt sich so förmlich der Vergleich zu olympischen „Mehrfachdisziplinen“ auf, die es da zu absolvieren gilt.

In den Zeiten in meinem Leben, in denen ich mit mehreren Partner*innen verbunden war, reichte das Geschehen locker an modernen Fünfkampf heran: Termine, individuelle und gemeinsame Zeit wollten koordiniert werden, das Leben musste ganz formell weiter bestritten werden – nur eben jetzt mit mehr anteilhabenden Personen (Fahrten, Einkäufe, Übergabezeiten, Mahlzeiten und „sonstige Haushaltsaufwendungen“ potenzierten sich…), zusätzliche Sensibilitäten und Bedürfnisse mehrerer Beteiligter waren zu beachten, zu kommunizieren, auszutarieren, kostbare Ich-Zeit und Selbstfürsorge wollten untergebracht sein – und nicht zuletzt sollte die Leichtigkeit, die Liebe und das Miteinander bei all dem auch seinen Platz finden…

Und in den Zeiten in meinem Leben, in denen ich „Poly-Single“ (also gut: „Oligo-Single“ – und dabei hatte ich persönlich noch das Glück, daß ich fast immer wenigstens eine Partner*in an meiner Seite hatte) war, fühlte ich mich oft unvollständig und trieb mich zu emsiger Aktivität auf dem Dating-Planeten an – was, wie jede*r weiß, die*der jemals in das glückspielartige Hamsterrad des Datings geraten ist, seinerseits Ressourcen – ganz zuvorderst vor allem Lebenszeit – forderte. Und nach manchen Dates konnte ich die Frustration, daß es mal wieder gerade knapp nicht zur einer Bronze-Medaille gereicht hatte, körperlich wie seelisch perfekt nachvollziehen.

Uns „Mehrfachbeziehungsführenden“ ergeht es dabei oft wie den Olympioniken: Außerhalb der „Spiele“ sind diese oft vier Jahre lang so unsichtbar wie wir als Subkultur. Der übrigen getriebigen Welt aber ist das egal. Rechnungen wollen bezahlt, eingegangene Verbindlichkeiten bedient werden – und vor allem: Lächle!, ob Frau, Mann oder Divers, denn wie es dir gerade tief drinnen geht, danach wird meist nicht gefragt.
Die Olympioniken dürfen dann zumindest einmal alle vier Jahre hinter dem Vorhang hervortreten – müssen dann allerdings auch ihre Leistung unter Beweis stellen, die sie sich doch hoffentlich in der Zwischenzeit aufgebaut haben.
Für Menschen, die alternative Lebensentwürfe praktizieren, bleibt der Vorhang allerdings eher dauerhaft geschlossen – dafür müssen sie tagtäglich mit einer normal-normativen Umwelt in Wettbewerb treten, wo die Bedingungen für alle anderen überwiegend zu passen scheinen.
Womit ich sagen will, daß Nicht-Normativität schlechthin schon allein ein steter Stressor sein kann. Was man z.B. gerade in den Situationen deutlich spürt, wo es nur die Leute der eigenen Wahlfamilie gibt, mit denen man seine besonderen Belange überhaupt besprechen kann. Und da kann es eben manchmal eng werden, wenn es die eigene Wahlfamilie selbst ist, die die Herausforderungen aufwirft…

Da wird der Blick auf die mono-normative Welt schnell zum gehetzten Blick über die eigene Schulter: „#§$%! – die anderen schaffen das doch auch irgendwie…“ Wodurch wir das Problem vor allem bei uns selbst suchen und mit noch hektischerer Aktivität reagieren: Den Google-Kalender optimieren, schneller fahren als gut ist, noch ein Dating-Profil anlegen (und jetzt noch mehr alberne Mails „Neue-Leute-in-deiner-Gegend-entdeckt!“ erhalten), abends wenigstens für 15 Minuten noch eine gemeinsame Küchentisch-Gesprächsrunde zusammentreiben (was unseren Beliebtheitsstatus ungemein steigert und richtig Stress rausnimmt…) oder schon mal auf eigene Faust einen Urlaub für das Polykül¹ buchen, damit alle mal endlich rauskommen…

Wenn es bei mir soweit ist, muß ich an meinen derzeitigen Lieblingsautor Matt Haig denken, der in seinem Buch „Mach mal halblang. Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten“ (dtv, 3. Auflage Juli 2021) schrieb:

»Aber so wie es nur einen Planeten gibt – einen Planeten mit endlichen Ressourcen – gibt es auch nur ein Du. Und auch du hast eine endliche Ressource – Zeit. Und, ganz ehrlich, du kannst dich nicht selbst vervielfältigen. Ein überfrachteter Planet verleitet uns zu überfrachteten Leben, aber letzten Endes kannst du eben nicht mit allen Spielzeugen spielen.
Du kannst nicht alle Apps nutzen. Du kannst nicht auf allen Partys sein. Du kannst nicht die Arbeit von 20 Leuten erledigen. Du kannst nicht über alle Nachrichten auf dem Laufenden sein. Du kannst nicht alle deiner elf Mäntel auf einmal tragen. Du kannst nicht jede Musst-Du-sehen-Serie anschauen. Du kannst nicht an zwei Orten gleichzeitig leben.
Du kannst mehr kaufen, du kannst mehr in deinen Besitz bringen, du kannst mehr arbeiten, du kannst mehr verdienen, du kannst dich mehr anstrengen, du kannst mehr twittern; aber so, wie jeder neue Kick nachlässt, kommt ein Punkt, an dem du dich fragen musst: Wofür ist das alles gut? Wie viel zusätzliches Glück erhalte ich?«


Hoppla.
Matt Haig erinnert mich an ein ganz wichtiges Gut, welches es ja sogar in den Titel meines hiesigen bLog-Projekt geschafft hat: Die Nachhaltigkeit. Und es ist so wichtig, uns daran zu erinnern, daß Nachhaltigkeit nicht nur als Schlagwort abstrakten Diskussionen über Fairtrade-Kaffee, den Standort Deutschland oder E-Auto vs. öffentlicher Nahverkehr vorbehalten sein sollte.
In meinem Werte-Eintrag 3 schlüssle ich diesen etwas sperrigen und in den Debatten mittlerweile stark abgenutzten Begriff auf, um klar zu machen, wie wichtig Nachhaltigkeit für unsere Beziehungen eigentlich ist. Dazu strapazierte ich zunächst drei weitere Fachbegriffe, nämlich Konsistenz – also (Wert)Beständigkeit bzw. Sinnzusammenhang, Effizienz – also Geeignetheit und Suffizienz – also Tragfähigkeit. Für Eintrag 3 habe ich mir außerdem als graphische Hilfe ein Nachhaltigkeits-Dreieck ausleihen dürfen, um zu zeigen, daß keiner dieser Bereiche ohne die anderen beiden seine Wirkung entfalten kann.

Wenn wir uns in unseren Mehrfachbeziehungen daher irgendwann wieder als Teil eines schrecklichen Rattenrennens erleben, ist es enorm erdend, sich auf diese Weise noch einmal klar zu machen, was im Zusammenhang mit unseren Liebsten (und uns selbst!) wirklich zählt.
Und der legendäre chinesische Philosoph des 6. Jahrhunderts v. Chr., Laotse, hat für mich mit ganzer fernöstlicher Weisheit und Lässigkeit noch besser ausgedrückt, wozu es uns dienen kann:
„Wenn ich loslasse, was ich gerade bin, werde ich, was ich sein könnte.“
Klingt zu sehr nach Glückskeks?
Denkt nochmal über das fast augenzwinkernde Statement nach!

Denn der Ausspruch spielt auf unser Selbstbild an: Je hektischer und getriebener wir agieren, umso stärker verfestigen wir es nach und nach – sowie auch unsere Position im Leben darin, bis hin zu einem Zustand, den der US-amerikanischer Psychologe Steven Hayes „psychische Starrheit“ nennt². Wir werden in unseren Reaktionen und in der Wahl unserer Mittel immer unflexibler, so daß wir z.T. selbst kaum noch den Ausgang aus unserer Misere finden können; von visionärer Kraft „was sein könnte“ längst ganz zu schweigen.
Ich glaube auch nicht, daß Laotse meinte, daß wir uns komplett unseres Selbst entäußern sollen, wie es von manchen modernen Gurus asiatischer Philosophien propagiert wird.

Der zitierte Steven Hayes erkannte z.B. in seiner Forschung, daß unter aller Hektik und dem überbordenden Dschungel an To-Do-Listen bei all seinen Patienten nach einer Weile schließlich wieder ihre ureigenen Grundwerte zutage traten: Die persönliche Konsistenz, die Beständigkeit, die eben keinesfalls verschwunden, sondern bloß durch ein Aufblähen an Äußerlichkeiten zugewachsen war.
Den Verlust von Beständigkeit, nannte Hayes daher auch folgerichtig als die größte Quelle für psychischen Stress – als Resultat des Kontaktverlusts mit all den Werten, die für uns eigentlich von innerlich höchster Bedeutung sind. „Werte“, ergänzte Hayes, seien nämlich der Ausdruck unseres individuellen Strebens nach Bedeutung und Sinn in unseren Leben. Eine Grundbedürfnis, welches stets dann in Gefahr geriete, wenn wir bei dessen Erfüllungsversuch beginnen würden, äußerem „Sollen“ oder gesellschaftlich normiertem Streben den Vorrang vor Selbstbestimmung und einer (selbst)gewählten Qualität unserer Handlungen zu geben.

Das bloße Erleben von Beständigkeit im Verhältnis zu uns selbst oder im Zusammensein mit derzeitigen Liebsten ist also bereits eines der wichtigsten Standbeine, wenn zunehmende gefühlte Leere oder nachlassende Sensibilität im Alltag nach uns greifen will.

Die Verbindung zum „Nachhaltigkeits-Standbein“ Suffizienz (Tragfähigkeit) ist an dieser Stelle sehr einfach zu sehen: In der Tat ist nämlich sehr oft „weniger“ das berühmte „mehr“. Also gerade nicht „Schneller, höher, weiter!“ – sondern „Bedachtsamer, auf Augenhöhe, näher“. Denn unsere Beziehungen wollen doch Vertrauensorte sein; dort, wo wir uns sicher fühlen, unsere Alltags-Rüstungen ablegen dürfen. Statt dessen erledigen wir unsere Beziehungen manchmal regelrecht wie ein lästiges Meeting oder arbeiten unsere Liebe ab wie einen überfüllten Posteingang.

Und das Standbein Effizienz, welches ich oben mit „Geeignetheit“ übersetzt hatte?
Ich glaube, wenn wir heute „Effizienz“ lesen oder hören, dann können wir auch diesen Begriff kaum noch ohne den so oft damit verbundenen Leistungsanspruch wahrnehmen.
Womit wir wieder beim Rattenrennen wären, denn heute heißt Leistungsanspruch, daß stets wir es sein müssen, die Geeignetheit und tiefgreifender Wirksamkeit (so war das Wort einmal gedacht, ja!) gewährleisten sollen.
Geeignetheit und tiefgreifende Wirksamkeit sind jedoch passive Kräfte, die ein Ergebnis, einen Effekt, eine Konsequenz befördern.
Also etwas, was mit uns in unseren Beziehungen geschieht. Etwas fast Unmerkliches, für das wir gar nicht wirklich viel „leisten“ im Sinne von „absolvieren“ oder „hinkriegen“ können. Jedoch umso mehr mit „anteilhaben“, „beitragen“ und „dazugehören“…

In der US-Krimiserie Bones – Die Knochenjägerin hält die Protagonistin Dr. Temperance Brennan (dargestellt von Emily Deschanel) anläßlich eines Todesfalls in ihrer Wahlfamilie folgende Ansprache [Staffel 10, Folge 2 „Sweets und die Verstummten der Verschwörung ,Teil 2“]:

»Aber ich glaube das Sweets immer noch unter uns ist. Nicht im religiösen Sinn, denn das Konzept von Gott ist nur ein törichter Versuch das Unerklärliche zu erklären. Aber in einem realen Sinn ist er hier.
Sweets ist immer ein Teil von uns. Unsere Leben…, wer wir alle in diesem Augenblick sind, wurde geformt von unserer Beziehung zu Sweets. Jede*r von uns ist wie eine komplizierte Gleichung. Und Sweets war die Variable, ohne die wir nicht geworden wären, wer wir heute sind. Ich hätte vielleicht nicht Booth geheiratet. Oder Christine bekommen. Daisy würde sicher nicht sein Kind austragen. Wir sind alle, wer wir sind, weil wir Sweets kannten. Ich brauche also keinen Gott, um ihn zu preisen oder das Universum, woher er stammte, weil ich ihn geliebt habe. Ich habe früher versucht, die Liebe zu erklären, als Absonderung von… Chemikalien und Hormonen. Aber ich glaube jetzt, wenn ich an Sweets denke, und sehe, was er uns hinterlassen hat, dass Liebe nicht erklärt werden kann durch… Wissenschaft oder Religion. Es ist jenseits des Verstandes, jenseits der Vernunft. Was ich aber wirklich weiß, ist, Sweets zu lieben… (*lacht*), die Liebe untereinander, das macht das Leben erst kostbar. Im Augenblick… muss ich nicht mehr wissen als das. Was peinlich ist, denn es kommt von einer extrem intelligenten, faktenbasierten Person wie mir.«


Puh, Gänsehaut. Und ich könnte noch hinzufügen, daß es doch schade ist, daß uns solche Gedanken zu oft immer erst dann in den Kopf kommen, wenn bereits jemand gestorben ist.
Gleichzeitig sind es ja meist auch gerade diese Grenzsituationen, in denen mit einem Mal sehr klar hervortritt, was eigentlich wirklich wichtig ist, was effektiv (!) zählt.

Unsere Beziehungen formen also unsere Leben, berühren und verändern uns; sie sind unser Leben. Es gibt nichts, was wir dafür „machen“, „erzielen“ oder „verdienen“ müssten, sollten oder könnten.
In vielen meiner frühen Einträge auf diesem bLog habe ich mich darauf bezogen, daß Mehrfachbeziehungen die unsichtbare Qualität hätten „mehr als die Summe ihrer Teile“ zu sein. Eine Qualität, die sich offenbar von Liebe, Authentizität und Zusammengehörigkeit angezogen fühlt. Eine Stärke, die aus Miteinander, Verbundenheit und Wechselseitigkeit erwächst – ohne dabei Leistungsanteil zu sein…
Kein rigider olympischer Kraftakt, vielmehr ein aufnahmefähiges Geschehen-Lassen.
Etwa magisch? Oder mystisch? Vielleicht sublim?

Wenn Dr. Temperance Brennan es nicht erklären konnte, dann muß ich es auch nicht.😉



¹„Polykül“ ist ein humorvolles Kofferwort aus Polyamorie und Molekül und bezeichnet eine Gruppe oder eine Reihe von Menschen, die sich miteinander in ethisch non-monogamen Liebes-Beziehungen befinden. Da diese „Gebilde“ bzw. Gruppen, wenn man sie zu graphischen Verdeutlichung aufzeichnet, gerne einmal wie Kohlenwasserstoffringe, komplexe Moleküle oder andere mittelkettige Verbindungen aussehen können, ist dafür der augenzwinkernde Ausdruck „Polykül“ entstanden.

² Steven Hayes: „A Liberated Mind: How to Pivot Toward What Matters“, Avery (27. August 2019); deutsch: „Kurswechsel im Kopf: Von der Kunst anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden“, Beltz; 2. Edition (19. August 2020)

Mehr Matt Haig, mehr über Nachhaltigkeit und speziell unsere Beziehungsressourcen gibt es in Eintrag 100!

Danke an andreas N auf Pixabay für das Foto!

Eintrag 103

Kopf und Fuß – oder: Der Blinde und der Lahme

Neulich hat mich eine Bekannte gefragt, wie denn meine bLog-Einträge normalerweise zustande kämen. Und ich sagte „Ganz verschieden – es kann manchmal sogar nur ein Wort sein, das mir im Gedächtnis bleibt, – und daraus entsteht ein vollständiger Eintrag.“
So ist es z.B. heute mit dem Wort „Abhängigkeitssymbiose“, welches ich vor einiger Zeit in einem gänzlich anderen Kontext als dem Universum der Mehrfachbeziehungen aufgeschnappt hatte.
Dieses Wort hat mich nämlich erst einmal irritiert, weil es für mich wirkte, als ob es aus zwei sehr unterschiedlichen Häften bestand, die gar nicht zueinander zu passen – ja, einander geradewegs zu widersprechen – schienen.
Und dann, als ich das Ganze einmal in meinem Kopf und dann in meinem Herzen herumbewegt hatte, habe ich gelächelt, denn mit einem Mal empfand ich den Begriff fast als ein bißchen hübsch in seiner Symbolik – und in diese Fall insbesondere für das Universum der Mehrfachbeziehungen.

„Abhängigkeit“, so sagt Wiktionary, steht für einen „Zustand, auf jemand oder etwas angewiesen zu sein“. Und damit hat das arme Wörtchen „Abhängigkeit“ auch meist sogleich seinen Charme weitestgehend eingebüßt. Denn uns in „Abhängigkeit“ zu befinden, auf jemanden oder etwas angewiesen zu sein, das klingt irgendwie klebrig, verhaftet, unselbständig und gebunden. Wodurch „Abhängigkeit“ nämlich unmittelbar in Verdacht gerät, das Antonym (= das Gegensatzwort) bzw. in gewisser Weise sogar der Antagonist (=Gegenspieler) unserer allseits beliebten und ersehnten „Freiheit“ zu sein.

Und dann ist da noch das Wort „Symbiose“. Hier definiert Wiktionary: „(das) Zusammenleben von Organismen verschiedener Arten zu gegenseitigem Vorteil“ bzw. „das Zusammenwirken von mehreren Faktoren, die sich vielfach gegenseitig begünstigen“. Womit Symbiose also wohl etwas Gutes und für die daran Beteiligten Lohnenswertes ist.

Damit wird aber zugleich klar, daß die in unserem urspünglichen Wortpaar zunächst als negativ wahrgenommene Abhängigkeit und die so vielversprechende Symbiose gar nicht wirklich gegensätzlich sind. Denn um von den Vorteilen einer Symbiose zu profitieren, müssten sich die Mitwirkenden wohl auf dieses „Aufeinander Angewiesensein“ einlassen, damit überhaupt eine solche zustandekäme…
Denn dies ist ja gerade das innewohnende Erfolgsgeheimnis jedweder Symbiose: Damit sie funktioniert – und „funktionieren“ heißt in diesem Fall: alle Beteiligten erfahren (Zu)Gewinn – müssen jene Beteiligte, wie ich im letzten Eintrag schrieb, „aus eigener Veranlassung nehmen UND geben“.

Dieser heutige Eintrag soll ein klein wenig ein „Erinnermich“ für ethische Mehrfachbeziehungen sein. Denn die Gefahr, daß wir in unseren Beziehungen zu stark bilanzieren – und das obendrein von einem zu selbstbezogenen Standpunkt – scheint mir nach wie vor sehr hoch.
Vor allem in einer Welt, wo wir regelmäßig u.a. mit Memen in sozialen Medien zugepfaster werden, die da mit Kalligraphiebuchstaben vor irgendeinem romantischem Fotohintergrund „Wahre Liebe gibt frei!“ postulieren.
Und nun komme ich und schreibe statt dessen viel lieber „Wahre Liebe… …ist symbiotisch!“ – und kann quasi hören, wie sich bei diesem Satz einigen Leser*innen knisternd die Haarspitzen aufstellen.

Gut, daß „Abhängigkeit“ in Beziehungsdingen für mich nicht grundsätzlich eine schlimme Sache ist, dürften regelmäßigere Konsument*innen meines bLogs spätestens seit meiner „Abhängigkeitserklärung“ in Eintrag 24 wissen. Dort schrieb ich – gewissermaßen als Fazit – daß »„Wechselseitige Abhängigkeit “ per se nach oligoamoren Maßstäben erst einmal kein behandlungsbedürftiger Makel sei, den es zu tilgen gelte, und sie in ihrer bewußten Form weder toxisch noch pathologisch sei.
Solch eine gut eingestellte – noch besser gut eingespielte – wechselseitige Aufeinanderbezogenheit stelle vielmehr ein engagiertes, dynamisches und offenes Binnenverhältnis dar, welches von regelmäßigen, gemeinschaftlichen Verhandlungen und (Nach)Justierungen profitiere.«


Für mich ist es aber trotzdem auch noch etwas mehr als das. Denn in der Oligo- und Polyamorie dreht sich nach meinem Empfinden am Ende des Tages alles um nichts weniger als wahrhaftige, romantische Liebe zwischen den so verbundenen Leutchen. Und wie ich wiederum in Eintrag 34 beschrieb, ist aufgrund meiner bisherigen Lebenserfahrung »der Kern des „romantischen Narrativs“ das freiwillig für die Gemeinschaft erbrachte Selbstopfer«.

Speziell letzterer Satz kommt beim Lesen immer erst einmal so unglaublich dramatisch daher, warum ich auch im zugehörige Eintrag damals gleich dieser Dynamik die (Hoch)Spannung nehme.
Symbiose, wenn sie romantisch (und nicht nur einen Zweckbeziehung) sein soll, benötigt aber darum ebenfalls genau dieses Selbstopfer.
Und vermutlich ist es daher auch geradewegs so ein unbehagliches Zwicken, was wir beim Begriff „Selbstopfer“ irgendwie empfinden, weil es dazu eben ohne die oben erwähnte „Abhängigkeit“ und damit einer Teil-Abgabe unserer vollen „Un-Abhängigkeit“, unserer größtmöglichen Freiheit, nicht geht.

Das ist auch ein Grund, warum ich Eintrag 102, in welchem ich exakt diese Freiheit feiere, die es uns überhaupt erst erlaubt, hinsichtlich unserem Wunsch nach Teilhabe und Verantwortungsübernahme Wahlen zu treffen, diesem Eintrag hier vorangestellt habe.
Denn es muß doch ein Ausdruck unseres nach Entfaltung suchenden Wesenskerns sein, wenn wir in uns den Wunsch finden, an einer „Symbiose“ (ich wiederhole: „das Zusammenleben von Organismen verschiedener Arten zu gegenseitigem Vorteil“) teilhaben zu wollen und damit zugleich bereitwillig die Verantwortung für den eigenen Beitrag am Gedeih dieses Gebildes mit zu übernehmen.

Wir haben es in Beziehungen also im ersten Moment stets mit einer freiwilligen Selbstbeschränkung zu tun – ein überaus romantisches Motiv übrigens. Z.B. so aufopferungsvoll-romantisch wie es einige Herren mit gesteiften Kragen im Jahr 1863 betrieben, als sie sich gegenüber einem wilden Gerangel um einen Lederball auferlegten, diesen künftig nur noch fair und gentlemenlike mit Kopf und Fuß zu bewegen – und auf diese Weise zu Gründern des modernen Fußballs avancierten…
Kurz vor dem Finale der derzeit stattfindenen EM finde ich hier Fußball übrigens eine durchaus treffende Metapher. Denn was wollten diese Leute damals erreichen, als sie sich selbst freiwillig beschränkten – und ein „weniger“ in Kauf nahmen?
Sie wollten einen „Mehrwert“ für alle erzeugen – weil sie der Meinung waren, daß mit roher Kraft und ganzem Körpereinsatz irgendwann irgendjemand so oder so in der Lage sei, einen Ball ins Tor zu bringen (was früher oder später nicht mehr sehr interessant gewesen wäre, es sei den für Leute, die den aufgepumptesten und rücksichtslosesten Protagonisten hätten bei ihrem Werk zuschauen wollen…).
Aus ihrer Selbstbeschränkung ging nun jedoch ein dynamisches, spannendes und integratives Spiel hervor, bei dem bis in die heutige Zeit Menschen aller Ethnien und Gender mit ihren vielfältigen Begabungen in Ausdauer, Geschick, Agilität, Mut, Findigkeit und Glück international um Aufmerksamkeit und Preise wettstreiten.

Die Vorteile von Wechselseitigkeit und Aufeinanderbezogenheit wie in einer Symbiose fallen uns also nach einer Weile also vielleicht doch noch ein – selbst wenn uns dabei aufgeht, daß wir dazu logischeweise eben (freiwillig!) einen Teil unserer persönlichen Freiheit dorthinein auflösen müssen, wenn wir wirklich mitwirken und profitieren wollen.
In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei ja auch meist um das „Schönwettergesicht“ der Liebe, über die ich im vorherigen Eintrag schrieb: »Hand aufs Herz: Wenn es in den von uns eingegangenen Beziehungen nicht etwas gäbe, was wir – wie oben erwähnt – „genießen“ wollten, wären wir doch vermutlich nicht darin…«
Das ist dann wieder wie beim Fußball: Klar, mit den heutigen Regeln (denen ich zugestimmt und mich selbstbeschränkt habe) kann ich den Typen in Ballbesitz da vorne jetzt nicht niederschlagen, um an das Leder zu gelangen. Ich muß mich heranpirschen und das Ding vom Fuß dribbeln, wonach ich es mit einem Paß zu den Mitspieler*innen oder (hoffentlich) zum Tor schießen kann. Aber: Am Ende des Tages bin ich dann eben nicht ein dumpfer Schläger, der vielleicht sogar für den eigenen Erfolg Fremdschaden in Kauf genommen hat – ich bin ein*e begehrte*r Ballkünstler*in in einem erfolgreichen Team.
Und weil es gerade nicht nach den Stärksten oder Durchsetzungsfähigsten auf dem Platz geht – denn so funktionieren Symbiosen nicht – bin ich es vielleicht ohnehin nächstes Mal, die den Ball zum Schuß auf das Tor zugespielt bekommt – weil ich eben am günstigsten dazu in Position bin.

Ok – in meinen Beziehungen kann ich durch Beitragen profitieren. Und durch romantische Selbstzurücknahme Mehrwert erfahren, den ich sonst alleine nie hätte erleben oder erzeugen können.
Aber wie ist das mit dieser konkludent (= Handlung, die auf eine bestimmte Willenserklärung schließen lässt, ohne dass diese Erklärung in der Handlung ausdrücklich erfolgt ist [also z.B. die Einwilligung in eine Liebesbeziehung]) eingegangenen Verantwortung für den Gedeih und die Aufrechterhaltung eines solchen Zusammenlebens und -liebens?
Warum schrieb ich im vorigen Eintrag »Wenn wir es mit unserem Wunsch nach Anteilhaben an einer (Liebes)Beziehung jedoch ernst meinen, dann ist auch die Verantwortung im gleichen Augenblick mit eingezogen – die Selbstverantwortung und auch die Verantwortung für das Wohlergehen, den „Gesundheitszustand“ der Beziehung.«?
Selbst der Wikipedia-Eintrag zur „Symbiose“ zeigt doch unterschiedliche Grade der wechselseitigen Abhängigkeit auf und schlägt sogar vor „Die Arten ziehen zwar einen Vorteil aus dem Zusammenleben, sind aber ohne einander gleichwohl lebensfähig.“ Wäre das nicht auch eine Möglichkeit, menschliche, romantische Nahbeziehungen mit mehreren Beteiligten zu handhaben?

Ich glaube, daß sich solche Gedanken vor allem immer dann einschleichen, wenn wir realisieren, daß weder die Liebe noch wir ganz persönlich stets immer nur auf der Seite des oben erwähnten „Schönwettergesichts“ des Beitragens und Genießens zu agieren in der Lage sind.
Dazu sagte der buddhistische Shaolin-Meister Shi Heng Yi neulich in seiner Reihe „positivegedanken“ auf Instagramm etwas sehr Anrührendes, was sogar an Teile des christlichen Eheversprechens erinnerte:

»Und Loyalität bedeutet aber, daß man weiß, dass es Momente geben wird, wo wir uns eventuell uneinig sind.
Aber genau weil ich eben weiß, dass das eventuell eine schwierige Zeit für eine Person werden wird, weil jetzt sehr viel Kritik und sehr viel Schmach – oder egal was – kommen wird, genau deswegen braucht aber diese Person jetzt die Unterstützung.
Wenn jeder immer nur positiv, gut, optimistisch redet, dann findet sich [leicht] eine Schar von Menschen, mit der man sich darum umgibt.
Aber es gibt eben einen Kern [an Menschen], der ist nicht nur in guten Zeiten da, der ist vor allem in den Zeiten da, wo andere weglaufen. Und so einen Kern sollte jeder Mensch haben – und das ist manchmal nicht mehr als eine Handvoll.
Aber was ist das Schöne daran? Dass dir das eben eine Stabilität gibt. Weil du weißt, egal was da kommt: Ich hab‘ einen Job, ich hab‘ keinen – die sind da. Ich habe eine Freundin, ich habe keine Freundin – die sind da.«


Meister Shi Heng Yi sagt also, daß der wichtige Begriff der Loyalität kein „Schönwetterstandard“ ist, sondern einer, dessen Wert sich gerade erst dann ermißt, wenn er in Konflikten miteinander Stand hält – und (trotzdem) erwiesen wird.
Und „Loyalität“, welche schon als Grundwert der Oligoamory in Eintrag 3 aufgeführt wird, verfügt auf der deutschsprachigen Wikipedia über die folgende großartige Definition »die auf gemeinsamen moralischen Maximen basierende oder von einem Vernunftinteresse geleitete innere Verbundenheit und deren Ausdruck im Verhalten gegenüber einer Person, Gruppe oder Gemeinschaft. Loyalität bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen höheren Zieles, die Werte des Anderen zu teilen und zu vertreten bzw. diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt, solange dies der Bewahrung des gemeinsam vertretenen höheren Zieles dient. Loyalität zeigt sich sowohl im Verhalten gegenüber demjenigen, dem man loyal verbunden ist, als auch Dritten gegenüber.«

Hier ist beides enthalten: Die romantische, freiwille Selbstbeschränkung („…diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt…“) und die Verantwortung für das größere Ganze, welches es zu erhalten und zu fördern gilt („ der Bewahrung des gemeinsam vertretenen höheren Zieles…“), die von unserem Wunsch und unserer freien Wahl der „inneren Verbundenheit“ umwunden sind.

Unterm Strich ist nämlich auch die zunächst mit etwas Stirnrunzen betrachtete „(Abhängigkeits)Symbiose“ keine Schönwetterveranstaltung. Denn erst einmal verbunden, schwingt doch auch hier die Tür von Wohl und Wehe von allen Beteiligten in jedwede Richtung.
„Siehste, und deswegen, würde ich so eine Symbiose von Anfang an vermeiden…!“
Ja? Das wäre genau die falsche Lehre aus dem zuvor Gesagtem gezogen. Denn exakt die Symbiose ermöglicht es, Mißstände oder Mißtöne aufgrund der verbundenen Ressourcen ganz anders aufzufangen, als es uns als bloßes Individuum je gelingen könnte.

Eine Fußballmannschaft wird heutzutage normalerweise in einer Weise zusammengestellt, in der sich Talente möglichst zu Höchstleistungen ergänzen sollen.
Doch schon vor Jahrhunderten im Mittelalter – einer Zeit, in der sich die Menschen ihrer Unvollkommenheiten und Abhängigkeiten vermutlich noch wesentlich elementarer bewußt waren als wir heute – entstand die Doppelgestalt „des Blinden und des Lahmen“, der in der Neuzeit die deutsche Folk-Rock-Band Ougenweide auf ihrem Album All die weil ich mag(1974) mit der Vertonung eines Textes von Christian Fürchtegott Gellert¹ noch einmal ein akkustisches Denkmal gesetzt hat: In dem Lied treffen ein lahmer Krüppel und ein Blinder aufeinander, nach kurzer Verhandlung trägt der Blinde den Lahmen, der im Gegenzug dem Blinden den richtigen Weg weist. Das Lied kulminiert mit den Zeilen:

Vereint wirkt also dieses Paar
Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben
Und andern mangeln deine Gaben.
Aus dieser Unvollkommenheit
Entspringet die Geselligkeit.

Wenn jenem nicht die Gabe fehlte,
Die die Natur für mich erwählte,
So würd‘ er nur für sich allein
Und nicht für mich bekümmert sein

Beschwer‘ die Götter nicht mit Klagen!
Der Vorteil, den sie dir versagen
Und jenem schenken, wird gemein:
Wir dürfen nur gesellig sein!

„Geselligkeit“, wie sie die Mittelalterlichen (und auch noch Herr Gellert im 18. Jahrhundert) sie einst nannten, hat heute einen leicht anderen Namen: Wir sagen mittlerweile „Gemeinschaft“. „Abhängigkeitssymbiose?“ Vielleicht darum auch eher ein Wort, was lieber der Vergangenheit angehören sollte. Wir könnten „Solidarität“ dazu sagen. Oder in einer romatischen Beziehung aus mehreren Beteilgten schlicht: Liebe.



¹ Der deutsche Dichter und Moralphilosoph Christian Fürchtegott Gellert sah sich selbst übrigens in Kontinuität mit den Ideen des von mir verehrten englischen Philosophen, Schriftsteller, Politiker, Kunstkritiker und Literaturtheoretiker Anthony Ashley Cooper, den ich in Eintrag 64 zu Wort kommen lasse.

Danke an Mary Taylor auf Pexels für das Foto!

Eintrag 102

Ich habe die Wahl!

Am gerade zurückliegenden Juniwochenende war Europawahl. Und egal wie jede*r von uns den Ausgang dieser Wahl nun beurteilen mag, so spielten doch in jedem Fall drei Themen eine wichtige Rolle, die auch die Dynamik unserer ethischen Mehrfachbeziehungen wie ein Wurzelgeflecht durchziehen.
Dabei handelt es sich um die Werte Freiheit, Teilhabe (Partizipation) und Verantwortung.
Fluch und Chance dieser drei Werte ist jedoch, daß es sich bei ihnen um riesengroße Begrifflichkeiten von enormer Tragweite handelt, die indessen keine glasklar umrissene, äußere Definitionsgrenze haben – und deren Beschreibungen dementsprechend in den allermeisten Online-Enzyklopädien gleich mehrere Bildschirmseiten füllen.

Vielleicht bleiben wir daher lieber zunächst auf dem Boden unserer Beziehungen.
Ich glaube nämlich, daß das verbindende Ankerwort der drei Begriffe „Teilhabe“ ist.
Und Freiheit wiederum benötigen wir allein schon, um uns überhaupt offen einer Identität oder Lebensweise ethischer Mehrfachbeziehungen zugehörig erklären zu können (und zwar egal, ob man dazu bereits Teil einer solchen Beziehung ist oder nicht!) – was in manchen autokratisch geführten Staaten z.B. nicht möglich bzw. erlaubt wäre.
Hierzulande werden sicherlich auch noch immer Augenbrauen gehoben – oder es fällt das stereotype „…also für mich wär‘ das ja nix…“ – dennoch sind wir in unserer Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland frei, uns mit so vielen Partner*innen zur gleichen Zeit romantisch zu verbinden, wie wir möchten.

Diese Art Freiheit sind wir mittlerweile mit einem hohen Grad an Selbstverständlichkeit für unsere individuellen Entscheidungen gewohnt – es ist fast wie atmen.
Überhaupt die Freiheit des Individuums: Gerade weil unsere hiesige Rechtsordnung dieser einen ausgesprochen hohen Stellenwert einräumt, können wir uns zudem auch mit solcherlei nonkonformen Lebensphilosophien und Partnerschaftsmodellen beschäftigen, wie es ja die Poly- und Oligoamory sind. Denn romantische (Liebes)Beziehungen zählen hierzulande zur persönlichen Privatsphäre (gemäß Wikipedia: „…der nichtöffentliche Bereich, in dem ein Mensch, unbehelligt von äußeren Einflüssen, sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrnimmt.“).
Dahingehend haben unsere Mehrfachbeziehungswünsche aber auch Grenzen: Stand heute dürfen wir z.B. nicht mehr als einen unserer Lieblingsmenschen heiraten und dazu mit einem staatlich legitimierten Vertrag offiziell berechtigen. Hier stößt unsere Freiheit (noch) an eine rechtliche Grenze: dort, wo unsere Privatsphäre in den öffentlichen Raum übergeht.
Der gleiche öffentliche Raum wiederum mißt unserer Meinungsfreiheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit jedoch einen großen Wert bei. Wenn wir auf der Straße laut verkünden, daß wir Fritzi, Luka, Renée und Robin lieben und wir uns derzeit mit allen von ihnen in einer romantischen Beziehung bei allseitigem Wissen und Billigung befinden, dann ist das ok (bis auf erwähnte hochgezogene Fremdaugenbrauen…) – und wir sind darin frei und dazu berechtigt.

Wenn wir (und auch Fritzi, Luka, Renée und Robin) nun nicht unbedingt auf eine staatliche Zeremonie mit anschließender Vertragsunterzeichnung auf dem Standesamt bestehen, um uns einander als zugehörig zu empfinden, ist also unsere Freiheit auch in der Beziehungsgestaltung sehr groß. So groß, daß ich diese Freiheit in Eintrag 28 sogar als Privileg bezeichne (fragen sie mal jemanden aus Ruanda oder Myanmar, wie es dort mit Freiheit für Mehrfachbeziehungen aussieht…).
Und weil individuelle Freiheit ein Privileg ist, besitzt Freiheit exakt auch den Schatten, der jedem Privileg zu eigen ist: „das Ding, was man hat – aber sich nicht bewußt ist, dass man es hat“. Und damit ist Freiheit unserem Atem einmal mehr ähnlich: Wir tun es ständig – sogar wenn wir schlafen – und müssen normalerweise nie auch nur einen Gedanken darauf verwenden, um es innezuhaben.
Spätestens in Beziehungen wird es mit unserer großen persönlichen Freiheit dann aber eventuell genau darum schwierig, wenn wir sie als „absolutes“ Gut ansehen, welches keinerlei Umstand mindern kann und darf.
Denn mit der Teilhabe (!) an einer Beziehung betritt unversehens auch die Verantwortung das Spielfeld.
Der deutsche Philosoph und Professor Michael Pauen schrieb dazu: „Eine verantwortliche Person wird als jemand betrachtet, die […] eine willkürliche Entscheidung treffen und auch durch eine Handlung verwirklichen kann, obwohl sie auch anders hätte handeln können. Eine freie Handlung erfolgt hiernach ohne Zwang und ist nicht zufällig. Freiheit ist in dieser Sicht die Bedingung der Möglichkeit der Selbstbestimmung des Menschen.“ ¹
Aha! Meine Freiheit hat es mir also ermöglicht, die Wahl zu treffen, ob ich an einer bestimmten Beziehung teilhaben möchte – eine Entscheidung, die ich mir selbst insofern auch hätte verweigern können…
Der deutscher Philosoph, Theologe und Pädagoge Georg Picht folgerte sogar noch weiter: „Deshalb ist Verantwortung im ersten Schritt ein Anspruch an sich selbst und für sich selbst. Die*Der Einzelne ist sowohl Gegenstand ihrer*seiner eigenen Verantwortung als auch die Autorität, vor der sie*er sich verantworten muss.“ ² Und diesen Satz finde ich richtig prima, da er ohne ein dogmatisches System, staatliche Obrigkeit oder Religion als Begründung auskommt – und somit ebenfalls auf anarchistischer oder atheistischer Basis Bestand hat.

Aus meiner Freiheit heraus entsteht also aufgrund meines Wunsches nach Teilhabe (an einer Beziehung) – und dann meiner freien Wahl einer tatsächlichen Teilhabe – Verantwortung.
Das ist für mich eine wichtige Folgerung, da in der Welt der Mehrfachbeziehungen sehr oft die Freiheit der Beteiligten sehr stark betont wird – und in dieser Weise oft, wie ich in Eintrag 87 schrieb, »„Freiheit“ dadurch unter bestimmten Umständen in unseren Beziehungen gelegentlich wie eine Art uns zustehendes „Abwehrrecht“ gegen jegliche wahrgenommene Bevormundung, gegen jedwede gefühlt ungerechtfertigte Haftbarmachung – aber darum leider bisweilen auch zu leichtfertig gegen manche echte Verantwortlichkeit ins Feld geführt wird.«

Genau darum ist es mir hier noch einmal wichtig zu zeigen, daß „Verantwortung“ uns nicht von außen aufgedrängt wird, so als ob uns von unseren Liebsten ein schwerer Mantel über die Schultern gelegt würde, sondern daß sie vielmehr eine einhergehende Kopilotin unserer eigenen, ausgeübten individuellen Freiheit ist.
Im Gegensatz zu anderen Modellen von Non-Monogamie oder Offenen Beziehungen werden aus diesem Grund in der Poly- und Oligoamory auch die Grundwerte „Verbindlichkeit“ und „Langfristigkeit“ so stark betont.
Noch einmal kurz von mir selbst erläutert: Natürlich kann ich mich auch in einer Kurzbeziehung verbindlich zeigen, indem ich mich z.B. an eine gegebene Zusage halte. Wirkliche Verbindlichkeit beruht jedoch auf einer Summe solcher Erfahrungen, die meine Lieblingsmenschen mit mir machen – und ich mit ihnen – , weil Verbindlichkeit als wahrgenommene Eigenschaft die Beobachtung von Berechenbarkeit und Verlässlichkeit benötigt – Qualitäten, die einen längeren Zeitraum erfordern, um sich voll entfalten zu können.

Teilhabe, die laut Wikipedia genauso als „Beteiligung, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitsprache, Einbeziehung“ gelesen werden kann, bringt also automatisch Verantwortung mit sich – was eigentlich auch klar wird, wenn man diese Begriffe noch einmal liest.
Warum glauben wir aber trotzdem zu oft, daß uns diese Verantwortung von den anderen Beziehungsbeteiligten auferlegt wird?
Weil es sehr leicht ist, sobald wir erst einmal Teil einer Beziehung sind, den Standpunkt – unsere Sicht auf das Geschehen – zu verschieben.

In Eintrag 9 schrieb ich über den „geheimnisvollen Emotionalvertrag“, der sich unsichtbar sofort in dem Moment bilden würde, sobald Menschen miteinander in Beziehung gingen.
Wie war das gleich…?
Die „Konkludente Anerkennung und Übereinkunft infolge einer gemeinsam begründeten emotionalen Nahbeziehung hinsichtlich der Gesamtheit der darin allseitig beigetragenen und potentiell zu genießenden freiwillig erbrachten Leistungen, Selbstverpflichtungen und Fürsorge.“
Noch einmal „Aha!“: Ich bin ja eine Beziehung eingegangen, wie oben gezeigt aus freiem Willen und freier Wahl, – auch aus dem Grund heraus, daß ich darin etwas „genießen“ kann; etwas, was zu meinem „Bedürfniscocktail“ beiträgt.
Etwas „genießen“, was nicht aus mir selbst kommt, kann ich allerdings wiederum nur, wenn es von anderen Personen beigetragen wird.
Die Wissenschaftler S. Cohen, L.G. Underwood und B.H. Gottlieb ergänzten im Jahr 2000 dazu sehr präzise:
»Zu dieser Empfindung tragen Vertrauen (die Erwartung, dass die Partner wichtige Bedürfnisse respektieren und erfüllen) und Akzeptanz (die Überzeugung, dass die Partner einen als die Person, die man ist, annehmen) bei.
Empathie ist dazu ebenfalls wichtig, weil sie Bewusstheit und Wertschätzung für das Kernselbst eines Partners signalisiert.
Gleichermaßen trägt Zuneigung zur wahrgenommenen Zugewandtheit der Partner bei – sogar unabhängig von Aufeinanderbezogenheit oder Einmütigkeit – nämlich genau wegen der wesentlichen Rolle des Wahrnehmens, daß man es aus deren Sicht wert ist und daher sehr sicher sein kann Liebe und Zuwendung von den Liebsten zu erleben.«
[Ausführliche Beschreibung u. Quelle siehe Eintrag 14]

Diese Beziehungserfahrung nannte der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas etwas kompliziert:
„Verantwortung, zum Beispiel für die Wohlfahrt Anderer ‚sichtet‘ nicht nur gegebene Tatvorhaben auf ihre moralische Zulässigkeit hin, sondern verpflichtet zu Taten, die zu keinem anderen Zweck vorgehabt sind.“ ³
Oh weiah! – Ich versuche Euch das mal einigermaßen zu übersetzen:
Verantwortung in einer Beziehung entsteht nicht, weil sie mir von außen, z.B. durch moralische Instanzen (Gesetz, Kirche, Staat, „das Gute“, auf Verlangen anderer Partner*innen, etc.) auferlegt wird – und ich dann eben so handeln „muß“ oder „soll“, sondern allein bereits dadurch, daß ich Teil einer Beziehung bin, weil dort das Genießen des Wohlergehens aller Beteiligten (sowie das Beitragen dazu) gewissermaßen aus eigenem Antrieb heraus schon Hauptzweck ist.
Womit Hans Jonas ebenfalls sagen möchte, daß eine Beziehung eben nur dann wahrhaft eine Beziehung ist, wenn die daran beteiligten Parteien nicht nur lediglich „nehmen“, sondern auch aus eigener Veranlassung heraus „geben“.

Kurz: Eine „Verantwortung light“ kann in verbindlichen romantischen Beziehungen ebensowenig existieren wie eine „Teilhabe light“. Beides wäre widersprüchlich, obwohl ich speziell in Mehrfachbeziehungskontexten den Wunsch nach beidem bereits regelmäßig vernommen habe.
Wenn wir es mit unserem Wunsch nach Anteilhaben an einer (Liebes)Beziehung jedoch ernst meinen, dann ist auch die Verantwortung im gleichen Augenblick mit eingezogen – die Selbstverantwortung und auch die Verantwortung für das Wohlergehen, den „Gesundheitszustand“ der Beziehung.

Der Dramatiker und Lyriker Bertold Brecht drückte diesen Zusammenhang sehr lebensklug in seinem kurzen Gedicht Morgens und abends zu lesen aus:

Der, den ich liebe,
Hat mir gesagt,
Dass er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich Acht,
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem
Regentropfen,
dass er mich erschlagen könnte.


Ob wir einander wortwörtlich „brauchen“, lasse ich dabei offen – Marshall Rosenberg, Vater der „Gewaltfreien Kommunikation“ schlug ja den etwas sanfteren Ausdruck „zu einander beitragen“ vor, den ich persönlich sehr schätze. Denn Hand aufs Herz: Wenn es in den von uns eingegangenen Beziehungen nicht etwas gäbe, was wir – wie oben erwähnt – „genießen“ wollten, wären wir doch vermutlich nicht darin…

Freiheit, jene Qualität der Möglichkeit, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Optionen auszuwählen und entscheiden zu können, bleibt also ein Privileg – insbesondere in Hinblick auf unsere konkret eingegangenen Beziehungen selbst – sowie bezogen auf die Wahl unseres dahinterstehenden Beziehungsmodells.
Erst Freiheit ermöglicht uns Teilhabe, die den Namen verdient hat; ermöglicht es uns, uns wirklich in unsere romantischen Beziehungen einzubringen und deren „Gesamtheit der darin allseitig beigetragenen und potentiell zu genießenden freiwillig erbrachten Leistungen, Selbstverpflichtungen und Fürsorge“ aus freien Stücken aktiv mitzugestalten.

Lasst uns darum auch die damit verbundene Verantwortung nicht mehr wie ein lästiges Nebenprodukt der Beziehungskistenzimmerei behandeln.
Räumen wir ihr den gleichen Stellenwert ein wie unseren Wünschen nach Lebensfreiheit und Anteilhaben an der Liebe, denn die drei sind untrennbar miteinander verbunden.
Wenden wir für sie also das gleiche Maß an Leidenschaft, Idealismus und Überzeugung auf, daß wir, wenn es das nächste Mal drauf ankommt – und wir die Wahl haben, zu ihr genauso sagen können:
„Verantwortung? Klar – das bin ja (auch) ich!“


¹ Michael Pauen: „Freiheit, Schuld, Verantwortung. Philosophische Überlegungen und empirische Befunde.“ In: Gunnar Duttge (Hrsg.): „Das Ich und sein Gehirn Göttingen 2009, S. 78.

² Georg Picht: „Der Begriff der Verantwortung.“ In: ders.: „Wahrheit, Vernunft, Verantwortung. Philosophische Studien.“ Klett-Cotta, Stuttgart 1969 / 2004, S. 321.

³ Hans Jonas: „Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation.“ Suhrkamp, Frankfurt 1979. (Neuauflage 1984, S. 174–175).

Danke an Jon Tyson auf Unsplash für das Foto!

Lust auf noch mehr Europa? Dann lies Eintrag 10!

Eintrag 101

Glücklich & Zufrieden

Wenn ich mit meiner Wahlfamilie bzw. meinem Polykülchenª zusammensitze, frönen wir manchmal einer selbstgemachten Tradition, speziell beim Anstoßen oder zu Beginn einer Mahlzeit, wenn wir uns gegenseitig fröhlich im Chor zusprechen: „Glücklich… – und zufrieden!“
Entstanden ist dieses kleine Ritual schon vor geraumer Zeit, als wir uns nämlich anläßlich gemeinschaftlicher Gespächskultur eine Weile mit der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg beschäftigten. Rosenberg sagte einmal, daß Menschen sich in ihren Beziehungen häufig „Glücklichsein“ wünschten – sie damit aber eigentlich „Zufriedenheit“ meinen würden, da „Glück“ nur ein eher begrenztes, situatives Erleben sei, „Zufriedenheit“ aber ein angestrebter, anhaltender Zustand. Dies bestätigte auch der deutsche Glücksforscher Stefan Klein (auf den ich unten noch zu sprechen komme) ganz ausdrücklich in seinem Buch „Die Glücksformel – oder wie die guten Gefühle entstehen“ ¹ , so daß bereits der schweizer Schriftsteller und Philosoph Henri-Frédéric Amiel in seinen Tagebüchern um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Erkenntnis auf der richtigen Spur war, als er schrieb „Der echte Name für Glück ist Zufriedenheit“.

Wir Menschen sehnen uns also nach Zufriedenheit – und speziell unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sind davon in einem ganz erheblichen Maße betroffen.
Wie schneiden wir dabei ab?
„Von außen“ wird ja z.B. insbesondere Personen, die sich einem Leben in Mehrfachbeziehungen widmen, oftmals vorgeworfen, sie seien fortwährend auf der Suche nach neuem Glück und niemals in der Lage mit Goethes Faust den frohen Seufzer „Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“ zu tun.

Werfen wir einen Blick auf das größere Bild:
Am 20. März dieses Jahres war es diesmal soweit: Im neusten Weltglücksbericht (der die Jahre 2021 bis 2023 ins Visier nahm) rutschte Deutschland um 8 Ränge von Platz 16 auf Platz 24. Ganz überraschende Länder wie Costa Rica, Litauen oder sogar die Vereinigten Arabischen Emirate registrieren in Fortunas Gunst mittlerweile höher als wir.
Was ist los in unserer doch an sich ganz munteren Republik, daß wir allmählich Schwierigkeiten haben, an die Spitzengruppe der Glücklichen Anschluß zu halten und zunehmend zum „Mittelmaß“ geraten – exakt so, wie es sich doch leider in unserem Alltag auch zu oft anfühlt.
Und was könnten wir uns von den 23 glücklicheren Mitbewerber*innen vor uns eventuell abschauen?

Wir leben z.B. in einem Land, in dem selbst Bürger*innen mit Migrationshintergrund bereits beim Deutschunterricht die forsch-zackige Formel „Frohes Schaffen!“ beigebracht wird. Als ich neulich im Garten werkelte, wünschte ein solcher Neubürger – der zufällig meine Kleinbaustelle passierte – mir dann auch mit spitzen Lippen und etwas befremdet-verwunderter Betonung (als ob er es selbst nicht recht fassen konnte, daß man sich hierzulande solches zuspricht – so wie andernorts einen Reisesegen oder die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen): „Na dann, – noch ‚frohes Schaffen’…“.
Der österreichisch-US-amerikanische Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick nahm sich in seinem passend betitelten Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ ² solcher Phänomene an und schrieb u.a. über diese Art von Motivation: Wer nach dem Anspruch der Absender solcher Botschaften (wie z.B. auch „Sei doch mal spontan…!“ oder „Sei einfach glücklich!“) nicht spontan“ oder glücklich“ – oder eben „froh“ – sei, bekomme das Gefühl, schlecht“ zu sein und entwickele dann – wohl leider nicht immer unbeabsichtigt – Schuldgefühle.

Insbesondere letzterer (Schuld-)Eindruck wurde auch schon im Oktober ’23 von dem deutschen Kabarettisten Urban Priol aufgegriffen, der nach einem längeren Kanada-Aufenthalt in einem Fernsehgespräch³ berichtete: „Wenn in Kanada [aktueller Glücksreport Platz 15, übrigens] ein gesellschaftliches Problem auftaucht, sucht man gemeinsam nach einer Lösung, während man in Deutschland nach dem Schuldigen suche…“

Wir leben also in einem Land, in dem wir uns alle immer noch regelmäßig zuviel mit mehr oder weniger verdeckten Schuldzuweisungen herumschlagen müssen, die wir erhalten – aber vermutlich auch selbst noch zu oft untereinander austeilen. Und vermeintliche gut gemeinte Unterstützung in Form von Stereotypen wie „Sei doch einfach mal glücklich!“, „Es geht immer noch schlimmer…“ oder „Anderen geht es noch viel schlechter…“ sind eine geradezu kontraproduktiv negative Psychologie, die leider in unserer Gesellschaft noch viel zu regelmäßig anzutreffen ist.
Ich glaube sogar, daß wir uns gegenwärtig erst recht wieder verstärkt in einer Phase befinden, wo wir sehr aufmerksam auf unser Miteinander – sei es romantisch, freundschaftlich oder auch nur von Mensch zu Mensch – achten müssen.

So schrieb der britische Schriftsteller Matt Haig (Großbritannien liegt im Weltglücksreport derzeit auf dem 23. Platz…):
»Es mag abwegig erscheinen, psychologische Heilung mit politischer Heilung zu verbinden, aber wenn das Persönliche politisch ist, dann ist es auch das Psychologische. Das derzeitige politische Klima scheint von Spaltung geprägt zu sein, einer Spaltung, die teilweise durch das Internet angeheizt wird.
Wir müssen unsere Gemeinschaftlichkeit als menschliche Wesen wiederentdecken.

[…] Es gibt kein Allheilmittel oder irgendein Utopia, es gibt nur Liebe und Freundlichkeit und den Versuch, inmitten des Chaos, die Dinge besser zu machen, wo wir es können. Und wir müssen unseren Geist weit, weit offen halten in einer Welt, die ihn oftmals lieber abschotten möchte.«*

Insbesondere mit Hinblick auf unser Leben in westlichen Indurstrienationen ergänzt er: »Selbst wenn die Welt uns nicht unmittelbar in Schrecken versetzt, können die Geschwindigkeit, das Tempo und die Ablenkung der modernen Lebensweise eine Art mentalen Angriff darstellen, der nur schwer auszumachen ist.
[…]
Das ist meiner Meinung nach das größte Paradoxon der modernen Welt. Wir sind alle miteinander verbunden, aber wir fühlen uns oft ausgeschlossen. Die zunehmende Überlastung und Komplexität des modernen Lebens kann isolierend wirken.
Hinzu kommt, dass wir nicht immer genau wissen, was uns einsam oder isoliert fühlen lässt. Das kann es schwer machen, die Probleme zu erkennen. Es ist, als würde man versuchen, ein iPhone zu öffnen, um es selbst zu reparieren. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Gesellschaft wie Apple funktioniert, als ob sie nicht will, dass wir einen Schraubenzieher in die Hand nehmen und selbst nachsehen, wo die Probleme liegen. Aber genau das ist es, was wir tun müssen. Denn oft wird das Erkennen eines Problems, achtsam dafür zu sein, zur Lösung selbst.«
*

Bezogen auf zwischenmenschliche Beziehungen, vor allem, wenn es sich eigentlich um Liebesbeziehungen handeln soll, ist das oben erwähnte „Zuteilen von Schuld“ also eine riesige Belastung – und oft ein „unsichtbarer Elefant“. Denn zum Zuteilen von Schuld nehmen Menschen speziell dann Zuflucht, wenn sie in ihrer Verunsicherung hoffen sich selbst wenigstens noch durch einen Abwärtsvergleich besser darstellen zu können (über die persönlichen Folgen des Abwärtsvergleichs und eines verdeckten „So, wie du bist, bist du nicht ok!“ siehe u.a. Eintrag 98). Mittelfristig entmündigen wir damit zunächst die Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung, letztlich aber auch, über diese Art so zu Denken, uns selbst.
Und „Entmündigung“ ist ausgerechnet das völlige Gegenteil (Antonym) der in ethischen Mehrfachbeziehungen angestrebten Ermächtigung aller Beteiligten. Warum es in der Poly- und Oligoamory wichtig ist, „ermächtigte Beziehungen“ zu führen, habe ich auf diesem bLog vor allem in meiner dreiteiligen Reihe zu „Bedeutsamen Beziehungen“ 1 | 2 | 3 beschrieben, schwerpunktmäßig in Teil 1.

Demgemäß haben wir in unserer Kultur und Gesellschaft (also eben vor allem in den „unglücklicheren“ Kulturen und Gesellschaften!) das zunehmende Dilemma, daß auf diese Weise in uns ein verunsicherndes Gefühl von Unverbundenheit und damit gewissermaßen „Heimatlosigkeit“ zunimmt. Am Beispiel eines Obdachlosenasyls erläutert der bereits zitierte Matt Haig:
»Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter sagte mir: „Den Menschen hier fehlt mehr als nur ein Platz zum Schlafen, ihnen fehlt Zugehörigkeit. Das Problem ist die Heimatlosigkeit, nicht die Wohnungslosigkeit. Wenn man heimatlos ist, fehlt einem mehr als nur ein Schlafzimmer.«

Um die wichtigen Qualitäten von Heimat und Zugehörigkeit – und daß es so grundlegend ist, diese in unseren romantischen Nahbeziehungen zu erfahren – geht es auf meinem bLog schon seit Eintrag 5.
Höchste Zeit also auf die „Glückspilze“ (die zumindest „glücklicheren Pilze“…) zu schauen und hoffentlich von diesen zu lernen, was wir für uns gewinnen könnten.
Regelmäßige Spitzenkandidaten in den periodisch erscheinenden „Weltglücksberichten“ sind z.B. die skandinavischen Länder, die Niederlande und auch die Schweiz.

All diesen Ländern attestiert die deutsche Psychologin und Glücksforscherin Judith Mangelsdorf (Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport, Berlin) zum einen eine hohe wahrgenommene soziale Unterstützung. Wenn man Menschen in diesen Ländern befragen würde, hätten sie subjektiv das Gefühl, daß man füreinander da ist, daß man füreinander sorgt und daß man damit als Gemeinschaft innerhalb eines Landes wirklich auch zum Wohlergehen aller beitrüge.
Zum anderen das subjektives Freiheitserleben: Daß die Einwohner das Gefühl hätten, eigene Entscheidungen treffen zu können und ihr Leben frei gestalten zu können.
Der Glücksforscher Stefan Klein bestätigt in seiner „Glücksformel“: »Frei in seinen Entscheidungen zu sein ist im Zweifel mehr wert, als seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Denn die Kontrolle über das eigene Schicksal ist für die meisten von uns unabdingbare Voraussetzung von Glück und Zufriedenheit. Sich ausgeliefert fühlen gehört zu den unerträglichsten Empfindungen. Menschen und auch Tiere reagieren darauf mit schweren seelischen und körperlichen Störungen. Wenn etwas Ersehntes nur um den Preis von abhängigkeit zu bekommen ist, fährt darum meist besser, wer die Freiheit wählt.«
Für mich übrigens sämtlich Faktoren, die ich auch in meinen Beziehungen erfahren möchte, wenn ich mich darin wohlfühlen will…

Direkt in die betroffenen Länder hineingefragt, wird es noch konkreter – speziell in Hinsicht auf die oben erwähnten Schuldzuweisungen und Abwärtsvergleiche.
In Finnland, welches derzeit auf Platz 1 steht, lernen bereits Schüler*innen, ihre Emotionen wahrzunehmen und zu benennen. Die Lehrerin Annika Lehikoinen sagt dazu: „Jugendliche sind sehr emotional, und sie lernen, dass es in Ordnung ist, alle Gefühle zu empfinden. Es ist sehr wichtig, dass sie verstehen: Auch wenn ich negative Gefühle habe, muss ich jedem Menschen mit Wertschätzung begegnen.“ Ich höre da Matt Haig heraus und seinen Hinweis „Oft wird das Erkennen eines Problems, achtsam dafür zu sein, zur Lösung selbst.“

Der kanadische Ökonom John Helliwell hat die finnische Gesellschaft noch eingehender analysiert. Es erklärt:
»Die eigene Zufriedenheit hängt in Finnland stark mit der Zufriedenheit anderer zusammen. Die Finnen vertrauen einander, sie kümmern sich umeinander. Und sie haben ein sehr hohes Maß an Chancengleichheit. Finnen vergleichen sich weniger, stehen nicht so im Wettbewerb zueinander wie Menschen in vielen anderen Ländern.«
Der finnische Psychologe Frank Martela unterstreicht dies, indem er beschreibt, daß es nicht unbedingt darum gehe, daß Finnland die meisten übermäßig glücklichen Menschen habe, sondern eher, daß es in Finnland nur sehr wenige extrem unglückliche Menschen gebe. Dies trage auch dazu bei, dass sich die Menschen weniger mit anderen vergleichen würden. Gerade dieser Ausgleich mache einen Unterschied. Eine finnische Volksweisheit würde besagen: „Man muss nicht neidisch sein.“ Denn auch wenn ein anderer etwas Besonderes hat oder kann: Mir fehlt trotzdem nichts, mir wurde schließlich nichts weggenommen.

Glücksforscher Klein wird diesbezüglich in seiner „Glücksformel“ hier sehr deutlich. In seinem 13. Kapitel („Die Macht der Perspektive“) nennt Klein fünf „Fallen“, die dem Empfinden von Zufriedenheit und Glück direkt entgegenstehen würden. Die Fallen vier und fünf heißen – kaum verwunderlich –„Seitenblicke“ und „Neid“ und Klein schreibt unverblümt: „Wer sich vergleicht, verliert“ – da Menschen über diese inneren Widersacher sogar bereits gewonnene Zufriedenheit sehr leicht wieder zunichte machen könnten.

Und Klein stimmt im selben Kapitel dem Ansatz der finnischen Lehrerin Annika Lehikoinen daher zu: Viel Un-Glück ließe sich vermeiden, wenn man wüßte, worauf man wie reagiert. Der Weg sei daher, der Wahrnehmung im Augenblick selbst mehr Beachtung zu schenken, als wir es gewohnt sind. Es sei enorm förderlich, die Fähigkeit zu trainieren, Emotionen zu bemerken, bevor sie durch Vergleiche, Gedanken und Gedächtnis verzerrt würden.
Zugleich würden Menschen sich oft um ihr Behagen bringen, weil sie ihre echte Zufriedenheit meist nur zu nebulös spüren würden, speziell, weil sie – wenn alles wie gewünscht läuft – nur allzu gerne bereit wären, ihre Aufmerksamkeit schweifen zu lassen. Aber eben auch gerade gute Gefühle, simpel wie die angenehme Empfindung einem vertrauten Menschen gegenüberzusitzen, solle man ganz auskosten.

Klein weist daher auf das sozio-oekonomische Panel „Leben in Deutschland“ hin, welches mit seinen Erhebungen hierzulande „glückliche Umstände“ mit ans Tageslich gefördert hat:
Die zufriedensten Menschen in Deutschland seien dementsprechend mit Abstand diejenigen, die dem Glück ihrer Mitmenschen ebenfalls Vorrang einräumten. So würde sich im besten Fall eine Gemeinschaft abbilden, die sich verbunden fühlt, die füreinander wechselseitig mit Hilfe einstehe – sogar, wenn politische Überzeugung gefragt sei („…wenn das Persönliche politisch ist, dann ist es auch das Psychologische…“).
Das grundlegende Fundament für Zugehörigkeit und jede wahrhaftige Gemeinschaftlichkeit.

All dies gesagt über die Basis von Glück und Zufriedenheit in unseren nahen und allernächsten Beziehungen, scheint es mir darum heute richtig, auch das Schlußwort dem Schriftsteller Matt Haig zu überlassen, der schrieb:

Vielleicht geht es beim Glück nicht um uns als Individuen.
Vielleicht ist es nicht etwas, das in uns hineinkommt.
Vielleicht wird Glück als etwas empfunden, das nach außen geht, nicht nach innen.
Vielleicht geht es beim Glück nicht darum, was wir verdienen, weil wir es wert sind.
Vielleicht geht es beim Glück nicht darum, was wir erlangen können.
Vielleicht geht es beim Glück um das, was wir bereits haben.
Vielleicht geht es beim Glück um das, was wir geben können.
Vielleicht ist Glück kein Schmetterling, den wir mit einem Netz fangen können.
Vielleicht gibt es keinen bestimmten Weg, glücklich zu sein.

Vielleicht gibt es sogar nur Vielleichts.
Wenn (wie Emily Dickinson sagte) „die Ewigkeit aus lauter Jetzts besteht“, vielleicht besteht dann das Jetzt aus lauter Vielleichts.
Vielleicht besteht der Sinn des Lebens darum darin, die Gewissheit aufzugeben und die wunderbare Ungewissheit des Lebens zu umarmen.
*



ª „Polykül“ ist ein humorvolles Kofferwort aus Polyamorie und Molekül und bezeichnet eine Gruppe oder eine Reihe von Menschen, die sich miteinander in ethisch non-monogamen Liebes-Beziehungen befinden. Da diese „Gebilde“ bzw. Gruppen, wenn man sie zu graphischen Verdeutlichung aufzeichnet, gerne einmal wie Kohlenwasserstoffringe, komplexe Moleküle oder andere mittelkettige Verbindungen aussehen können, ist dafür der augenzwinkernde Ausdruck „Polykül“ entstanden.

¹ Stefan Klein, „Die Glücksformel – oder: Wie die guten Gefühle entstehen“, Fischer 2012; erweiterte Neuausgabe 2014

² Paul Watzlawick, „Anleitung zum Unglücklichsein: Inspirationen zum Glücklichsein und für mehr Achtsamkeit“, Piper; 5. Edition Juli 2021

³ Urban Priol in SR-Gesellschaftsabend Nr. 294; Sendereihe des Saarländischen Rundfunks

* Sämtliche Langzitate dieses Eintrags von Matt Haig stammen aus: „Mach mal halblang. Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten“, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 4. Edition (22. März 2019)

Ich danke dem Archiv der Tagesschau für den Artikel zum Weltglücksbericht 2024 „Finnland bleibt glücklichstes Land“ (Stand: 20.03.2024 11:28 Uhr) und dem Interview mit Judith Mangelsdorf „Einer der stärksten Faktoren ist das Füreinander“ (Stand: 20.03.2024 14:59 Uhr)

Und natürlich Dank an Zachary Nelson auf Unsplash für das Foto!

Eintrag 100

Ressourcenkuchen

Festwochen auf dem Oligoamory-bLog – und ein Jubiläum folgt dem nächsten: Der 100. Eintrag ist heute zu bewundern! Hinter dem raschen Wechsel herausragender Wegmarken (letzten Monat erst haben wir 5 Jahre Oligoamory gefeiert) steckt diesmal allerdings vor allem rechnerische Finesse: Da ich im ersten Jahr meines Bloggens jeden Monat 4 Artikel verfaßt hatte, ergibt sich auf diese Weise der 100. Eintrag durch die Summe fleißiger 61 Monate, nachdem in Jahr Zwei mein Projekt zu einer Monatsschrift geworden war.

Für die schöne runde Zahl gibt es natürlich trotzdem Kerzen und Kuchen – und Letzterer ist quasi Sinnbild für mein heutiges Thema, welches in der Welt ethischer Mehrfachbeziehung immer wieder einen wichtige Rolle spielt: Ressourcen.

Eine Ressource, so sagt die deutschsprachige Wikipedia, ist „ist [ein] Mittel, [eine] Gegebenheit wie auch [ein] Merkmal bzw. [eine] Eigenschaft, um Ziele zu verfolgen, Anforderungen zu bewältigen, spezifische Handlungen zu tätigen oder einen Vorgang zielgerecht ablaufen zu lassen.“ Der Wikipedia-Eintrag ergänzt ferner: „Eine Ressource kann ein materielles oder immaterielles Gut sein, […] in der Psychologie auch Fähigkeiten, persönliche Eigenschaften oder eine geistige Haltung, in der Soziologie auch Bildung, Gesundheit, Prestige und soziale Vernetzung. In psychologischen und psychosozialen Handlungsfeldern werden häufig auch die Begriffe „Stärken“ oder „Kraftquellen“ benutzt.“

Drei Sätze aus einer Online-Enzyklopädie und schon wird deutlich, daß niemand, die*der sich in eine Struktur mehrerer romantischer Partnerschaften – und eben womöglich mit mehreren real existierenden Partner*innen – einbringt, um dieses Thema herumkommt.
Denn für dann wirklich im grünen Leben wurzelnde, tatsächlich praktikable Mehr-Personen-Netzwerke sind die persönlichen Ressourcen eine entscheidende – wie sagt man heute neudeutsch? – „Benchmark“ (in etwa: Vergleichsmaßstab), exakt was ihre Realisierbarkeit, ihr Zustandekommen und ihre Fortführbarkeit angeht.
Warum dies so wichtig ist, skizzierte ich bereits im ersten Jahr dieses Projekts hier in meinem „Dating“-Eintrag 30, indem ich fragte: „Habe ich derzeit die Kapazität in meinem Leben, einen (weiteren) GANZEN Menschen als solchen zu würdigen?“
Diese Frage stellt sich selbstverstänlich bei der Aufnahme jedweder Form von romantischer Beziehung – wenn es allerdings um ein Leben mit noch mehr als nur eine*r*m weiteren „Beziehungsteilnehmer*in“ geht, kann sich die Herausforderung der Ressourcenbereitstellung und -zuwendung entsprechend potenzieren (zumindest erscheint es manchmal so…).

Womit wir auch bei unserem heutigen Titelfoto mit dem (Jubiläums-)Kuchen als Ressourcensinnbild angekommen wären. Welches ich hübsch passend finde, denn natürlich ist so ein Kuchen normalerweise da, um hoffentlich mit anderen geteilt zu werden.
Zugleich… – wie er da so liegt, vorgeschnitten in seiner Kunststoffschale – scheint auch diese Ressource ihrerseits genau genommen Teil von etwas Größerem zu sein. Das ist wunderbar: Sage ich über ethische oligoamore Mehrfachbeziehungen doch nahezu seit der ersten Stunde (und so steht es auch auf meiner Startseite), daß es bei ihnen um ein Erleben geht, welches „größer ist als die Summe ihrer Teile“

Die Jetztzeit mit Klimawandel und ökologischem Umdenken zeigt uns aber auch, daß Ressourcen eben nicht unendlich sind. Dies gilt auch für unsere persönlichen Ressourcen in Beziehungen. Nicht zufällig ist der Untertitel des Oligoamory-Projekts „verbindlich-nachhaltige Beziehungen“ (und über den „Nachhaltigkeits-Teil“ spreche ich bereits im letzten Abschnitt von Eintrag 3).
Begrenzte Ressourcen führen dazu, daß mit ihnen aufmerksam gehaushaltet werden sollte, was jedoch manchmal zu Aufteilung und Rationierung führt: Was, wer wann, wovon, wieviel erhält – und schon hat man statt üppiger Torte ein rein funktionales Tortendiagramm vor Augen, mit seinen farbigen größeren und kleineren Segmenten…

Diese Tendenz macht auch vor Mehrfachbeziehungen nicht halt – denn Teilhabe an einem Kuchen, zu dem alle beitragen, ist ja nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite beschreibt der britische Entschleunigungs-Autor Matt Haig folgendermaßen:

»Obwohl es heißt, dass der Dichter Samuel Taylor Coleridge der letzte Mensch war, der alles gelesen hat, ist dies technisch unmöglich, da er 1834 starb, als es bereits Millionen von Büchern gab. Interessant ist jedoch, dass die Menschen der damaligen Zeit glauben konnten, dass es möglich war, alles zu lesen. Heute könnte das niemand mehr glauben.
Wir alle wissen, dass, selbst wenn wir den Weltrekord im Schnelllesen brechen, die Anzahl der von uns gelesenen Bücher nur einen winzigen Bruchteil der existierenden Bücher ausmachen wird. Wir ertrinken in Büchern, so wie wir in Fernsehsendungen ertrinken. Und doch können wir immer nur ein Buch lesen – und nur eine Fernsehsendung zur gleichen Zeit sehen. Wir haben alles vervielfacht, aber wir selbst sind immer noch individuelle Einzelwesen. Es gibt uns nur einmal. Und wir sind alle kleiner als das Internet. Um das Leben zu genießen, sollten wir vielleicht aufhören, darüber nachzudenken, was wir niemals lesen und sehen und sagen und tun werden, und anfangen, darüber nachzudenken, wie wir die Welt innerhalb unserer Grenzen genießen können. Nach einem menschlichen Maßstab zu leben. Wir sollten uns auf die wenigen Dinge konzentrieren, die wir tun können, und nicht auf die Millionen von Dingen, die wir nicht tun können. Uns nicht nach parallelen Leben sehnen. Eine angemessenere Form der Mathematik finden: Eine stolze und einzigartige Eins zu sein. Eine unteilbare Primzahl.«
¹

Hoffen wir also, daß wir unsere Mehrfachbeziehungen nicht aus dem Vervielfältigunsreflex heraus gewählt haben, nur ja nichts zu verpassen. Die Versuchung, auch mehrere Beziehungen als „parallele Leben“ zu führen, ist jedenfalls in der Polyamory sehr real (meine Sorge darum bereits Eintrag 2!). Selbstfürsorge ist hingegen angeraten, wenn Mehrfachbeziehungen in Hinblick auf unsere Ressourcen „nachhaltig“ geraten sollen.

Grundsätzlich würde ich dabei meiner Erfahrung nach zwischen „äußeren“ (z.B. Geld/Einkommen, Transportmittel, Wohnraum, Infrastruktur, Zugang zu Unterstützung, Rechtsstaalichkeit etc.) und „inneren“ Ressourcen (u.a. Resilienz, Empathie, Offenheit, Beziehungsfähigkeit, Konflikt- oder Kritikfähigkeit usw.) unterscheiden – wiewohl es da Überschneidungen gibt:
Ein typisches Phänomen für Überschneidungen ist bereits der Zeitpunkt – unübertroffen aus dem Englischen mit dem Begriff „Timing“ versehen – beispielsweise: Muss ich mich momentan um die Heimeinweisung meiner Mutter kümmern, die letzte Woche ihre Demenzdiagnose erhalten hat? Oder bin ich gerade im dritten Trimester schwanger?
Versteht mich richtig: Wenn die Liebe in unseren Leben Einzug hält, dann fragt diese oft nicht unbedingt danach, ob es gerade günstig ist. Aber manchmal gibt es schwerwiegende äußere Umstände und Prozesse, die uns schon rein faktisch – aber eben auch mental sowie psyschisch – so sehr mit Beschlag belegen, daß wir möglicherweise gerade nicht die beste Variante unseres Selbst sind – auch hinsichtlich unserer Fähigkeit, mit noch zusätzlichen, wegweisenden Entscheidungen über den aktuellen Stress hinaus konfrontiert zu sein (weitere typische „Überschneidungsressourcen“ sind daher z.B. auch Gesundheit, Integration/Teilhabe, sowie sozial Einbettung u. persönliche Kontakte insgesamt).

Überhaupt die wichtige „Ressource Zeit“ – scheinbar ein mathematischer äußerer Faktor, der unsere Lebenszeit buchstäblich in die Tortendiagramm-Segmente des Zifferblatts presst: Zeit für Essen, Schlafen und die Verbindlichkeiten, die wir eingegangen sind, z.B. häufig Arbeit – aber eben auch andere Engagements und Beziehungen vielfältiger Natur, denen wir gerecht werden wollen. Wir beginnen folglich mit dem Einteilen – und Aufteilen – und der organisatorische Aufwand der damit einhergeht, wächst proportional mit der Verknappung, die wir selbst mit vorantreiben.

Der Autor Matt Haig hat aber recht, wenn er verdeutlicht, daß eben – wie es die Redewendung über die Liebe verspricht – durchaus nicht alles stets „mehr wird, wenn man es teilt“. Denn am Ende aller Vervielfältigung, Multiplikation und jedwedem „mehr“ bleiben wir selbst – mit unseren Sinnen und Empfindungen, die uns das Erleben ermöglichen – un-teilbar (siehe letztes Drittel Eintrag 98: In-dividuum).
Und gerade weil dies so ist, besteht die Gefahr, daß wir beginnen, unsere Lebenszeit – auch und speziell was unsere Beziehungen angeht! – immer dünner zu verstreichen, bis wir uns so vorkommen, wie es der Fantasy-Autor J.R.R. Tolkien den armen geplagten Bilbo im Herrn der Ringe (Bd.1 „Die Gefährten“ ) sagen läßt: „Ich fühle mich dünn, irgendwie gestreckt, wie Butter, die auf zuviel Brot verstrichen wurde.“
Von Torte und Genuß ist da längst nichts mehr übrig. Von nachhaltig ganz zu schweigen…

Was unsere Ressourcen angeht, können wir uns aber noch durch zwei weitere Faktoren zu Fehlschlüssen verleiten lassen, die wiederum eher dazu führen werden, daß wir uns sprichwörtlich „zuviel auf den Teller laden“ – und dann aus einem eventuellen (Vor)Sorgekarussell gar nicht mehr beizeiten aussteigen können.

Zum einen ist dies in der ungünstigen biographischen Lernerfahrung begründet, die ich bereits in Eintrag 27 und Eintrag 98 mit den Worten Friedrich Schillers „Der Starke ist am mächtigsten allein“ benannte.
Solch ein manifestierter Glaubenssatz entsteht meist durch negative (Lebens)erfahrung, daß man sich auf andere nicht verlassen kann, woraus häufig die Einstellung resultiert, daß „…wenn du etwas getan haben willst, du es lieber selbst tun solltest…“

Zum anderen kann dies geschehen, wenn wir es mit dem schönen oligoamoren Prinzip „die anderen (Beteiligten) mit-hineindenken“ aus Eintrag 53 übertreiben und versuchen, die Hoheitshemisphäre der anderen Beziehungsteilnehmer*innen in einer gewissen Form vorauseilenden Bedenkens mitzumanagen.

Diesen Teil schreibe ich, weil es etwas ist, bei dem ich mich selbst doch immer wieder ertappe – genau weil ich vergessen, daß es sich bei den anderen Beziehungsbeteiligten doch wahrhaftig ebenfalls um GANZE, kompetente Personen handelt.
Dann überrasche ich mich dabei, wie ich hinsichtlich Verabredungen bereits mit km-Abständen und Navigationsanwendungen jongliere, wenn ich mit Mahlzeitenplänen hantiere oder die Fürs und Wieders ganzer Wochenendplanungen mit den mir bekannten Vorlieben und Abneigungen der Teilnehmenden abgleiche…
Und bevor ich so ein Koordinations-Ungeheuer auch nur annähernd erfolgreich erlegt hätte, erreicht mich manchmal zur Rettung dann eine E-Mail irgendeines Lieblingsmenschens, der mir schreibt, wie sie*er die (für mich erschreckend lästigen) km problemlos zu mir kommt; was sie*er zu essen mitbringt und daß wir doch gar nicht soviele Aktionspunkte bräuchten, weil unser gemeinames Zusammentreffen schließlich die wichtigste Priorität sei. Punkt.

Manchmal aber auch nicht – und ich verheddere mich gänzlich unnötig in einem Gewirr gut gemeinten, vorauseilenden Gehorsams, abgeschmeckt mit ein paar unterschwelligen Bevormundungen aufgrund meinerseits unterbliebenen Nachfragens…

Solch ein ungünstiges „Katz-und-Maus-Spiel mit sich selbst“ kann man übrigens richtig auf die Spitze treiben. Denn natürlich ist es gut und richtig, sich über seine Ressourcen klar zu werden – und über das, was an Kapazitäten für (weitere) eigene Beziehungen (noch) zur Verfügung steht. Sich allerdings zu fragen, was man denn einer anderen Person überhaupt zu bieten hätte, wo man doch schon ein so volles Leben hat, ist ein vor allem selbstzerfleischendes aber letzlich recht substanzloses Unterfangen – da es doch die Augen und Herzen der anderen sind, die hoffentlich uns ihrereseits aus ganz eigenen – und spezifisch guten Gründen wählen.

Womit ich sagen will: In Beziehung zu SEIN kann uns leider immer noch gelegentlich vegessen lassen, daß wir darin nicht die Last des Universum nur auf unseren Schultern tragen müssen. Oder daß bloß unsere Schultern die besten wären, auf denen es ruht…
Eine wichtige Ressource ist nämlich auch, die Grenzen der eigenen Beherrschbarkeitssphäre zu würdigen.
Zum einen, daß wir uns nämlich endlich davon befreien dürfen, indem wir ja gerade NICHT allein sind, in allem immerfort stark sein zu müssen.
Denn zum anderen sind die übrigen (Beziehungs)Beteiligten doch ganz und gar großartige, fähige – ja eben – GANZE Menschenkinder, mit gänzlich eigenen Ideen, Talenten und Ressourcen, die Gebiete und Reserven betreffen können, welche vermutlich durchaus anders als die unsrigen gegründet sind.
Ideen, Talente und Ressourcen also, die uns wiederum das außergewöhnliche und wohltuende Erleben davon ermöglichen, doch aus etwas Größerem zu schöpfen als der bloßen Summe der Teile…

Natürlich bleibt es in ethischen (Mehrfach)Beziehungen richtig und wichtig, bei dem, was die Auswirkungen eigenen Planens und Handelns auf anderen Beteiligten angeht, diese „mit-hineinzudenken“. Egoistisch verwaltete Ressourcen, die nach eigenem Gutdünken vor allem unter Maßgabe größtmöglichen Eigennutzens zugewiesen werden, machen uns beziehungsunfähig und wenig liebenswert.
In Übereinstimmung mit den Worten von Matt Haig oben hat diesbezüglich z.B. der deutsche Sozialpädagoge und Konfliktforscher Klaus Wolf schon zu Beginn dieses Jahrtausends herausgearbeitet, daß eben auch individuelle selbstfürsorgliche Bewältigungsstile wie Optimismus bzw. Hingabe (im Sinne von: Zuwenden, Sich-öffnen, Empfangen) zu den essenziellsten persönlichen Ressourcen zählen.²
Und genau darum erlaubt uns das Anteilhaben an intimen Nahbeziehungen ebenfalls, bezüglich unserer Ressourcen gerade dort diese einzigartige Stimmung zu erfahren, die für mich am eindrücklichsten der empfindungsreiche österreischische Lyriker Rainer Maria Rilke in Worte fasste³:

Rast!
Gast sein einmal.
Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten

mit kärglicher Kost.
Nicht immer feindlich nach allem fassen;
einmal sich alles geschehen lassen und wissen:
was geschieht, ist gut.



¹ Matt Haig: „Mach mal halblang. Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten“, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 4. Edition (22. März 2019)

² Klaus Wolf: Sozialpädagogische Interventionen. In: Karin Lauermann, Gerald Knapp (Hrsg.): Sozialpädagogik in Österreich. Perspektiven in Theorie und Praxis. Band 3. Verlag Hermagoras/Mohorjeva, Wien, S. 92–105, hier S. 95; 2003

³ Auszug aus: Rainer Maria RilkeDie Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, geschrieben 1899, erste Veröffentlichung in der Insel-Bücherei 1912

Danke an MatissDzelve auf Pixabay für das Foto!

Eintrag 99

Don’t dream it – be it…!

Liebe Leser*innen, es ist soweit:
Mit dem heutigen 99. Eintrag wird das Oligoamory-Projekt unglaubliche 5 Jahre alt!
Für einen privaten bLog im Einmannbetrieb ein stolzes Alter, welches viele ähnliche Unternehmungen nicht erreichen, die ja alle ebenfalls mit Leidenschaft und dem überzeugten Enthusiasmus, zu einem bestimmten Thema etwas zu sagen zu haben, irgendwann einmal begonnen hatten.¹
Dementsprechend rufe ich Euch heute zu: „Ich bin noch hier!“ – und gemäß den drei wichtigsten Werten der Oligoamory „Verbindlichkeit“, „Einlassung“ und „Berechenbarkeit“ werde ich mich bemühen dafür zu sorgen, daß dies auch nächsten Monat wieder gilt, so wie in den 60 vorangegangenen zuvor.

In gewisser Weise ist es schon kurios. Vor fünf Jahren um diese Zeit im Jahr war gerade meine letzte polyamore Mehrfachbeziehung mit Mißverständnissen und Grenzverletzungen (auch von meiner Seite) zuende gegangen. Genau genommen war es sogar das Ende einer Dreier-Serie kürzerer polyamorer Arrangements, die sich nacheinander aufgelöst hatten und sämtlich ein maues Gefühl von – wie sagt man heute neudeutsch? – „Underperformance“ hinterließen, ja, eben: unter den potentiellen Möglichkeiten geblieben zu sein.

Eine Flucht in eine weitere Beziehung hinein zeichnete sich damals nicht ab – und wurde von mir zugleich als höchst kontraproduktiv empfunden.
Ich brauchte also dringend einen grünen Stecken, um trotz der frischen Blessuren auf dem Herzen meiner Beziehungsphilosophie dennoch treu zu bleiben und erst einmal weiter voranzukrücken – sowie einen Reflektionsraum, um mir meiner Lernerfahrungen aus dem Erlebten klar zu werden – und zugleich festzuhalten, was ich mir denn von einer intimen romantischen Nahbeziehung mit mehreren Beteiligten eigentlich für mich wünschen würde (ein Prozess, den ich in eingermaßen unbedarfter Weise zuvor jedesmal ausgelassen hatte).
Zusätzlich war ich davon ausgegangen, daß die Menschen, mit denen ich Beziehungen eingegangen war, unter der Wortfolge „ethische Mehrfachbeziehung“ in etwas dasselbe verstehen würden wie ich. Speziell herauszufinden, daß dies ganz und gar nicht so war, stellte für mich eine der schmerzhaftesten Erkenntnisse dar, die ich aus jener Zeit gewonnen habe.

Ok, dies ist jetzt vermutlich ein etwas ernster Einstieg in den heutigen Jubiläumsartikel…
Dennoch, ja, aus dieser Wurzel sproß die Oligoamory hervor, wuchs und entfaltete sich mit jedem Eintrag – und stärkte damit zugleich meine Zuversicht in eine Art zu Lieben, die ich für mich selbst aus dem tiefsten Inneren empfand: Die Möglichkeit, einige (wenige) ausgewählte Personen gleichzeitig romantisch zu begehren und wertzuschätzen.

Von da an wurde die Oligoamory, die gewissermaßen als „meine Reise“ begonnen hatte, immer stetiger auch zu „Eurer Reise“, inklusiverweise sollte ich sogar noch besser sagen zu „unserer Reise“ – als Unternehmung und Herzensangelegenheit all derer, die in diesem besonderen Bereich der Zwischenmenschlichkeit ähnlich empfinden.

Von der ersten Stunde an stand die „Oligoamory“ dabei aber nicht als Sturzgeburt im luftleeren Raum. Weil ihr Autor und Reiseleiter ein bekennender Idealist ist, stand sie vielmehr auf den Schultern all derjenigen, die bereits zuvor der Möglichkeit von Mehrfachbeziehung ihr Leben (oder zumindest einen wichtigen Teil davon) gewidmet hatten – UND diesem Ganzen darüber hinaus stets konsequent das wichtige Wörtchen „ethisch“ hinzugefügt hatten, um es klar von Unehrlichkeiten, Betrügereien, Affären oder Geliebtenstatus abzugrenzen.
Womit sich der Kreis schloß, weil dies die Bedeutung der „Arbeit am Selbst“ deutlich hervorhob: eben genau herauszufinden, was Menschen für sich selbst von einer solchen Art von Beziehung erhoffen würden – sowie zugleich nach eigener Aufgestelltheit einzubringen in der Lage wären…

Wenn ich heute den 99. Eintrag abfasse, dann fallen mir drei weitere Einsichten ein, die mir während der vergangenen Jahre immer wieder aufgefallen sind:

Erstens, und darum nicht zufällig an dieser Stelle von mir genannt, wie wichtig es ist, auch im „Reich der Poly- oder Oligoamory“ Beziehungen zu Menschen zu suchen, aufzunehmen und zu unterhalten – und eben nicht zu Beziehungen.
In ihrem Polyamory-Buch „More than Two“ ² – und auch auf ihrer ehemaligen gemeinsamen Webseite – postulierten die Autoren Franklin Veaux und Eve Rickert diese wichtige Maxime sogar als fundamentales Prinzip welches sie auch dementsprechend konsequent in ihrer Beziehungs-Grundrechteerklärung verankerten.
Was hier im ersten Augenblick als merkwürdig selbstverständlich erscheinen kann, ist es – speziell wenn man sich zwecks Orientierungshilfe durch knapp 600.000 Wörter Oligoamory wühlt – hingegen ganz und gar nicht. Denn die Gefahr, am Ende „function follows form“ (dt.: „der Zweck folgt der Form“) zu erliegen, ist überraschend groß. Das muß nicht unbedingt wie in dem klassischen „Worst-Case-Szenarien“ bedeuten, daß Menschen in Mehrfachbeziehungen nur dann ein bestimmtes vordefiniertes Plätzchen mit ihrer Rolle zugewiesen wird, wenn sie buchstäblich zuvor eine „Beziehungsrahmen-Vereinbarung“ signiert haben (kein Witz: es gab/gibt Mehrfachbeziehungen, die dies wirklich mit einem selbstgeschriebenen Regularium abzubilden versuchen…). Nein, die viel gegenwärtigere Gefahr ist, daß wir uns selbst im Alltag schlicht unbewußt eine „Beziehungsrahmen-Brille“ aufsetzen und damit Menschen, denen wir begegnen – und die uns vielleicht sogar zugewandt sind – einer Art „ethischer Mehrfachbeziehungscheckliste“ anheimfallen lassen.
Was für uns, als Bekennende ethischer Mehrfachbeziehungen, die Sache aber meist noch schwieriger macht ist, daß speziell wir auch „von außen“ oft nur in dieser eingeschränkten Sicht, also lediglich in unserer Eigenschaft als „Mehrfachbeziehungsführer*innen“ wahrgenommen werden. Und das ist nicht nur problematisch, sondern erstickt meistens jeden anfänglichen zarten Beziehungsaufbau im Keim.
Genau dieser anfängliche zarte Beziehungsaufbau ist ein ganz sensibler Prozess. Denn natürlich ist es im zweiten Schritt von absoluter Wichtigkeit, um allen Seiten eine informierte Wahl zu gewähren, direkt die für sich gewählte Beziehungsphilosophie und die eigene Identifikation damit offenzulegen. Aber der ERSTE Schritt ist und bleibt, herauszufinden, ob sich da Menschen gegenseitig mögen, füreinander empfinden, sich richtig gut leiden können…!
Zu oft habe ich in den letzten 5 Jahren erlebt, daß die an den Anfang gestellte Abklärung hinsichtlich des Beziehungsmodells jeden Verliebtheitsfunken, nahezu schon bevor noch ein solcher erglühen konnte, vorerwartungsmäßig erstickte. Und dies ist kein menschliches Maß, wenn eben die Form wichtiger gerät als der Zweck. Wieviel Mitmenschlichkeit, wieviel Verständnis, Unterstützung, Empathie, Chance auf Verbindung, ja, auf mögliche Verliebtheit und eventuell echte Liebe lassen wir uns so entgehen?

Das 21. Jahrhundert sollte uns lehren, daß für Beziehungen keine Fertig-Blaupausen aus dem Kopierer der Vergangenheit gezogen werden können. Vielmehr ist das Gebot der Zeit, daß vereinbarte Formen immer wieder aufgesucht werden müssen und der gegenwärtigen Situation und Aktualität anzupassen sind, um Bestand zu haben und den Beteiligten angemessen zu sein.
Darum sage ich hier und heute: „Liebt, Ihr guten Leute, liebt und verliebt Euch, wenn zwischen Euch die Möglichkeit dazu besteht – und errichtet im nächsten Schritt darum herum den ethischen Rahmen, in dem sich alle Beteiligte zum größtmöglichen Maß wahrgenommen, wertgeschätzt, aufgehoben und angenommen fühlen!“
Die vowegnehmende Beziehungsrahmen-Diskussion ist in etwa, als ob jemand sagen würde „Du kaufst da Blumenkohl – ich kann dich doch nicht lieben…“ oder „Oh, du trägst Karomuster – ich will gar nicht herausfinden, ob ich dich mögen könnte…“ Das klingt albern? Dann genügt ein Blick z.B. in die sozialen Netzwerke, um desillusioniert zu erkennen, daß unser zwischenmenschlicher Diskurs mittlerweile auf diesem schalen Niveau angekommen ist. Und daß wir uns wegen kleinlicher Äußerlichkeiten die Chance vergeben, eine andere, sonst womöglich durchaus sympathische Person, näher kennenzulernen – die doch vielleicht unser Leben bereichert hätte.

600.000 Wörter Oligoamory sind (auch) eine Menge Theorie. Aber bitte laßt Euch durch diese nicht davon abhalten, dem Zweck den Vorzug vor der Form zu geben. Kommt ins Gespräch, laßt Euch auf einander ein, gebt einer ersten zarten Verbindung, den ersten vermeintlichen Funken, Luft und Raum zum atmen und wachsen: Geht daher bitte Beziehungen mit Menschen ein, nicht sofort mit Beziehungen – oder Beziehungsmodellen (so wichtig diese – und die Verständigung darüber – im zweiten Schritt auch sind).

Mein Zweitens hat in gewisser Weise mit dem obigen „Erstens“ zu tun.
In meinem letztjährigen März-Eintrag 87 schrieb ich, daß viele von „uns“ – die sich also mit dem Thema „ethische Mehrfachbeziehungsführung“ hinsichtlich ihrer zwischenmenschlichen Kontakte beschäftigen – sich oft auch in dem ein oder anderen Bereich ihres Lebens bereits „frei gedacht“ hätten (u.a. Ökologische Lebensweise, politischer Aktivismus, Queerness, Spiritualität, Identifikation mit Subkulturen, Veganismus etc.). Da solcherlei alternative Herangehensweisen häufig eine bewußte, oft widerständigen Haltung gegen eine mehrheitsgesellschaftliche Normativität benötigen, gehen diese Lebensweisen oft mit Grenzziehungen und Betonung der eigenen Identität in Sprache, Engagement, Kleidung, Wahl der Umgebung und Gleichgesinnter einher.
Eine Gefahr, beim nicht-gewöhnlich-Sein besteht nach einer Weile darin, wegen der aufgewandten Kraft, die das Außer-Gewöhnliche in einer Mehrheitsgeselschaft braucht, auch vor allem dieses Außergewöhnliche für sich selbst als maßgeblich anzunehmen.
Dies ist aber nicht nur ein Minderheiten-Phänomen, sondern es betrifft genauso die erwähnte Norm-Gesellschaft: Unsere zunehmende Event- und Leistungs-Kultur stumpft uns zunehmend gegenüber den leisen Tönen ab und läßt mittlerweile das Spektakuläre zum Erwarteten werden.
Der in Deutschland geborene spiritueller Lehrer und Selbsthilfeautor Eckhart Tolle sagte einmal passend dazu:

»Warum warten wir darauf, dass etwas Außergewöhnliches passiert, um uns lebendig zu fühlen?
Warum beginnt die Aufregung erst, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt – eine Beförderung, eine Reise, ein großer Lebenswandel?
Die Wahrheit ist, dass jeder Augenblick – ja, wirklich jeder – ein Spektakel sein kann.
Selbst die alltäglichsten Tätigkeiten, wie einen Tee trinken oder zum Bus laufen, können zu etwas Großartigem werden.
Wenn du einen Tee trinkst, nimm dir einen Moment Zeit, um die Wärme der Tasse in deinen Händen zu spüren, das Aroma des Tees zu genießen, den Geschmack auf deiner Zunge wahrzunehmen. Plötzlich wird diese einfache Handlung zu einem Erlebnis voller Sinnlichkeit und Präsenz.
Beim Gang zum Bus kannst du den Rhythmus deiner Schritte beobachten, die Frische der Luft einatmen, die Geräusche der Umgebung wahrnehmen. Du bist voll und ganz da, in diesem Augenblick, und jede Sekunde wird lebendig und bedeutungsvoll.
Dies geschieht nicht durch magische Verwandlung, sondern durch deine bewusste und präsente Wahrnehmung des Moments.«


In meinem Eintrag 45, in dem ich über die „wunderbare Alltäglichkeit des Seins“ schreibe, lasse ich dies ebenfalls anklingen. Die Gefahr, daß wie 100% Leben verpassen, weil unsere Reizschwelle längst jenseits der 110% liegt, läßt uns alles vermeintlich darunter liegende als weniger authentisch oder gar wert erscheinen. Womit wir selbst die Latte für uns selber immer höher schieben, was es denn braucht, uns noch „aus dem Häuschen“ zu bringen… Und das ist problematisch für jedweden Beziehungsaufbau – und dann auch innerhalb unserer bestehenden Beziehungen, denn durch einen künstlichen „nach-oben-Vergleich“ banalisieren und mindern wir unser derzeitiges Erleben, was dazu führt, daß wir immer schon beim nächsten (Erwartungs-)Schritt sind – und uns so nur selten wirklich im Hier&Jetzt befinden.
Liebe, die sich genau in Einlassung, Wertschätzung und Da-Sein ausdrückt ist jedoch ein vollständiger Gegenwärtigkeitsaugenblick.
Lasst uns diesen Augenblick nicht deshalb verpassen, weil wir in unserer Anspruchshaltung auf nichts weniger als die manifestierte Erscheinung des leibhaftigen Regenbogeneinhorns in Cinemascopeformat und HD warten – und dabei das Glück übersehen, welches gerade direkt neben uns die Dosenerbsen in den Einkaufswagen legt…

Drittens – und weil „Erstens“ und „Zweitens“ sich nach einer Weile nichtsdestoweniger frustrierend anfühlen können, speziell wenn sich wenig bewegt und die ersehnten Lieblingsmenschen sich absehbar nicht einfinden wollen: Bleibt Euch selbst treu. Und verliert nicht den Glauben und das Zutrauen in die Richtigkeit Eures romantischen Empfindens.
Lasst es Euch auch von niemandem absprechen oder als Phase verunglimpfen, die sich eventuell durch Mangel an Augenscheinlichkeit sicherlich erledigt hätte…
Oder gar dadurch, daß Ihr selbst vielleicht bisher nicht den letzten Schritt gewagt habt – und Euch noch nicht zu Euren Mehrfachbeziehungswünschen nach außen bekannt habt.
Denn das wäre so, als ob jemand anderes bösartig diagostizieren würde: „Was? Du bist nicht geoutet? – Dann bist Du wohl auch nicht wirklich schwul, lesbisch, trans etc…!“
Aber auch hier gilt „form follows function“ (dt.: die Form folgt dem Zweck): Ein „Outing“, der Schritt zum offenen Bekenntnis, Mehrfachbeziehungsfähig zu sein, ist der letzte Schritt in einem Prozess, dessen ursprüngliche, ausgängliche Quelle das innerste eigene Empfinden ist.
Lasst Euch das von mir zusprechen, jemandem, dem es in der Tat in den letzten 5 Jahren dann doch nicht mehr gelungen ist, Teil einer kontinuierlicheren Mehrfachbeziehung zu werden.
Denn bin ich dadurch weniger poly- oder oligoamor geworden?
Im Gegenteil, jeder Tag, jeder Schritt auf meinem Weg hat mich konstant mehr darin versichert, wer ich bin, wie es um mein romantisches Erleben bestellt ist.
Würde ich noch einmal einen weiteren Lieblingsmenschen finden, wäre niemand glücklicher als ich, na sicher. Zugleich ist die aus dem anfänglichen Tohuwabohu gewonnene Selbsterkenntnis der vergangenen 5 Jahre mein aus mir selbst und für mich selbst gewonnener Reichtum, der mir mein Leben lang bleibt (und der sich sicher noch vermehren wird, wenn ich so zurückschaue…). Und mit mir muß ich es schließlich am meisten aushalten – insbesondere, wenn ich mich unter andere, vielleicht wundervolle, Menschen begebe…

„Don’t dream it – be it!“, zu deutsch „Träum‘ es nicht – sei es !“, mit diesen Worten meiner heutigen Überschrift fordert der außerirdische Transvestit und Nonkonformist Frank-N-Furter im dem prallbunten Musical The Rocky Horror (Picture) Show sein Publikum zu unerschrockenem Dasein und Handeln auf.
Seiner Einladung kann ich mich nur anschließen, wenn wir dabei eben nicht aus dem Blick verlieren, daß wie es in Beziehungsdingen immer mit Menschen als Gegenüber zu tun haben, wir erkennen, daß unsere Wünsche außer-gewöhnlich sein dürfen – aber darum nicht automatisch „spektakulärer, besser, mehr“ bedeuten müssen (da wäre Frank-N-Furter anderer Meinung gewesen…😉) und daß Treue zu uns selbst – auch in „Dürrezeiten“ und sogar wenn unser inneres Glitzern bislang noch nicht vollständig nach außen gedrungen ist– immer die beste Form von Authentizität ist.

Schlichter als Frank-N-Furter– aber viel direkter, hat dies alles der niederländische Maler Vincent van Gogh für mich ausgedrückt, mit einem Zitat, welches ich heute zum 5-jährigen Jubiläum der Oligoamory ins virtuelle Knopfloch stecke:

»Die Normalität ist eine gepflasterte Straße,
man kann gut darauf gehen,
doch es wachsen
keine Blumen
auf ihr.«

Lasst uns also wieder abseits der Straße treffen! Noch einmal 5 Jahre lang? Soviel will ich heute nicht versprechen – aber auf jeden Fall: solange die Liebe (zum bLoggen) währt.




¹ Wie zum Beispiel das von mir ehedem hochgeschätzte feministische kleinerdrei-Projekt, welches von mehreren Autorinnen getragen wurde. Nach 5 Jahren war leider, leider Schluß…

² Das bislang nicht auf Deutsch vorliegende Buch von Franklin Veaux und Eve Rickert „More Than Two – A practical guide to ethical polyamory“, Thorntree-Press 2014

Danke an Alfonso Scarpa auf Unsplash für das Foto!

Eintrag 98

Sei willkommen!

(…nicht nur am Valentinstag)

Während unseres ganzen Leben – und speziell in den Momenten, in denen wir Beziehungen eingehen, bewegen wir Menschen uns zwischen verschiedenen Polen: Zum einen wollen wir natürlich unseren Individualismus, unser Selbst, mit unserem eigenen Gedanken- und Wertesystem erhalten. Zum anderen möchten wir aber auch meist zum Wohl anderer beitragen – auf deren Unterstützung wir selbst ja ebenfalls oft angewiesen sind – und üben uns daher in Altruismus.
Altruismus – laut Wikipedia eine „Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise“ – ist daher in unseren menschlichen Beziehungen eine wichtige Eigenschaft, die allerdings – wie die sprichwörtliche Medaille – eine zweite Seite besitzt.
Und diese zweite Seite äußert sich in unserer Angst, uns durch zu starkes Eingehen auf unsere Mitmenschen und aufgrund unserer Sehnsucht nach Teilhabe und Einbeziehung quasi „aufzulösen“, uns durch Anpassung und Einordnung in Konformismus zu verlieren (Aufgabe eigener Individualität an die Normen und Meinungen der Bezugsgruppe). Wodurch wir wieder zurück zum Individualismus steuern, es mit unserer Strebsamkeit aber dabei manchmal übertreiben und bei dessen „Medaillenrückseite“, dem Egoismus (Ichbezogenheit, Selbstverliebtheit) landen…

Dies alles könnte hübsche Theorie sein, wenn wir in unseren Mehrfachbeziehungen nicht alle permanent miteinander eigentlich durch diese 4-Faktoren-Matrix pendeln würden. „Wir und die anderen“ ist DAS dynamische Grundmotiv, nach dem wir wie in einem Tanz – mal näher und mal weiter – kreisen.
Die Herausforderung: Seinen eigenen Werten und Zielen treu bleiben – und dabei nicht in Egotripping, Narzissmus oder Gängelei zu verfallen; willentlich zum Gesamtwohl einer Gruppe, der man selbst angehört, beizutragen (durchaus auch, weil es einem selbst mit zugutekommen kann) – und dies nicht zu tun aus Angst vor Verantwortung, aus Selbstunterschätzung oder der Bedürftigkeit, unbedingt dazugehören zu wollen.
Aus diesem Grund wird in der Polyamory so häufig zu der einer Mehrfachbeziehungserrichtung vorausgehenden Pflege eines gut aufgestellten Selbst aufgerufen, bzw. in der Oligoamory betone ich hier auf meinem bLog das Hervorbringen des berühmten „gemeinsamen Wirs“, welches den Beziehungsmittelpunkt bilden sollte, um die Wahrnehmung von Eingebundensein bei gleichzeitiger Wertschätzung aller Beteiligten erfahrbar zu machen.
Auf diese Weise könnte die Verbundenheit, der ich u.a. meinen letzten Eintrag gewidmet habe, von dem Maß unserer Fähigkeit zur Einlassung als Individuum und unserer Bindungsfähigkeit als soziales Wesen profitieren.
Die Traumatherapeutin Maria Sanchez z.B. weist darauf hin, daß wir demgemäß über die Bindungsfähigkeit, die wir nach innen haben, im Idealfall auch nach außen verfügen könnten…

Frau Sanchez geht allerdings ebenfalls davon aus, daß die meisten von uns in unserer westlichen Gesellschaft bereits zu einem frühkindlichen Zeitpunkt ein Bindungstrauma erlitten haben, welches aus der Diskrepanz, wie wir urspünglich angelegt waren und wie das Außen (vor allem unsere nächsten Bezugspersonen) uns indessen haben wollte, hervorgegangen ist.¹
Ein meist unbewußter Teil von uns würde sich seither regelmäßig als „unverbunden“ erleben, speziell in Situationen, die die Verletzung unseres Wesenskernes um den Preis der Anerkennung durch Bezugspersonen (bzw. später: Beziehungs- und Lieblingsmenschen!) berühren würden.

Der Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann sagte vor drei Jahren in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung: „Das knappe Gut [in polyamoren Beziehungen] ist nicht Liebe oder Sex, sondern Aufmerksamkeit.“ ²
Eine ziemlich präzise Beobachtung würde ich sagen, eingedenk vieler der von mir verfolgten Filmbeiträge, Situationsbeschreibungen und Forumsdiskussionen zu unserem Thema – und vor allem der dort regelmäßig dargestellten Herausforderungen und Schwierigkeiten.

Ein heute wahrgenommener Mangel an Aufmerksamkeit kann also gewissermaßen eine Art Retraumatisierung auslösen, indem jener oben erwähnte verletzte Teil von uns erneut registriert, daß es wohl (abermals / seit kurzem / jetzt aktuell) Seinsseiten an uns gibt, die wieder einmal nicht willkommen sind.
Was für die Betroffenen und die übrigen Beziehungsbeteiligten jedoch ebenfalls nicht offensichtlich ist – und für die Gesamtbeziehung problematisch wird – ist, daß wir aus einem solchen Erleben dann fast immer Glaubenssätzen ableiten, die wir uns fortan selbst sagen (oder wir bestätigen jene negativ, die ohnehin schon verankert waren).
Ich sage „problematisch für die Gesamtbeziehung“, da Verletzungen auf dieser Ebene stets in einem „Wir-Feld“ verhaftet sind, da die (re)traumatisierte Person aus einer Haltung heraus agiert, in der sie ohnehin bereits übersensibel auf ein Geschehen oder Antizipieren (Vorwegahnen) im Außen fokussiert ist – und eben bereits nicht mehr gut bei sich selbst verwurzelt ist [aus „So, wie du bist, bist du nicht ok!“ wird „So, wie ich bin, bin ich nicht ok…“].

An dieser Stelle ist ebenso zu erkennen, wie aus einem bloßen Gefühl („…da hat mich etwas irritiert…“), welches nach der Irritation abklingen würde, wenn es unbelastet wäre, eine Emotion (= Gefühl+Bewertung) entsteht, deren „Getriggertsein“ fortan weiter anhält. Ein Prozess setzt ein, der dauerhaft Lebenskraft bindet, die andernorts viel gedeihlicher gebraucht werden würde.

Die Traumatheraputin Sanchez folgert, daß solche Prozesse dazu beitragen sollten – und auf jeden Fall dazu beigetragen haben, daß wir mit bestimmten Bereichen unserer Persönlichkeit gar nicht ausgereift individuell werden durften bzw. sollten – und dementsprechend auch nicht wurden.
Sie folgert weiter, daß viele von uns dadurch „chronische Symptome“ entwickelt haben, die einem „inneren Diktator“ entsprechen, der uns mit Glaubenssätzen nach wie vor vorschreibt, wie wir statt dessen besser sein sollten, des weiteren einen „inneren Kritiker“, der uns beim vermeintlichen Scheitern abwertet – und vor allem unsere Umgebung in diesen Abwärtsvergleich einbezieht, sowie einen „inneren Verführer“, der uns mit Ablenkung im Außen (Suchtstrukturen wie Medien, Drogen, Sex, Essen, Geld/Konsum, etc…) zeitweise aus diesem Spannungsfeld herauszunehmen versucht.
Suchtstrukturen wiederum sind laut Frau Sanchez gefärlich, weil sie, wie sie es nennt, „die Bühnen vertauschen“würden: Es würde ein vermeintlich „kontrollierbares“ Substitut angeboten, statt einem Weg hin zu echter Daseinsfreude.

Wer meinem bLog bis zu diesem Eintrag gefolgt ist, weiß, daß dies insbesondere in Mehrfachbeziehungen kritisches Potential birgt, da hier „Verunsicherungssituationen“ doch andere Herausforderungen als in der Monogamie darstellen – und sei es nur dadurch, daß es dort keinen Rückzug ins „Gewohnte“ gibt, weil einerseits eventuell mit mehr „Neuanfängen“ umgegangen werden muß – aber auch weil schlicht die (nicht mal so große) Zahl der teilhabenden Personen in ihrer Vielfalt eine immer wieder veränderte Fülle an Nuancen, Facetten und Schattierungen des Miteinanders hervorbringen wird [als bei (nur) zwei langjährigen Partner*innen].
Daher bieten obendrein gerade Konflikte in Mehrfachbeziehungen das zwiespältige Potential, ausgestanden werden zu müssen – weil sich hier die Beteiligten eher mittelfristig nicht in einen falschen Burgfrieden aus Rückzug in Schneckenhäuser des Schweigens entlassen werden (was bei zwei Personen noch eine Option wäre – wie unsere Eltern- und Großelterngenerationen bewiesen…)

In Eintrag 62 nannte ich sie erstmals: Ambiguitätstoleranz ist also gefragt – die Frau Sanchez übrigens passend zum Beziehungsthema noch konkreter „Begegnungskompetenz“ nennt.
Hier sind wir also wieder als Individuum (wie gesagt aus dem Lateinischen in-dividuus : „un-teilbar“) eingeladen, diese Kompetenz aufzubauen; denn weil wir ja leider nicht vollends individuell (und vielschichtig) werden durften – wie ich weiter oben schrieb – hat dies auch dafür gesorgt, daß wir akut jedem Dilemma hilfloser gegenüberstehen, als es sonst vermutlich der Fall gewesen wäre.

Unsere Glaubenssätze und Symptome aus inneren Diktatoren, Kritikern und Verführern profitieren davon, wenn wir derart mit uns selbst und den äußeren Umständen im fortgesetzten (Unzufriedenheits-)Kampf bleiben.
Folglich hieße das für uns, aus diesem Kampf auszusteigen. Aber bitte nicht durch die nächste Verführung in Verkleidung (die ja auch als ambitioniertes Sportprogramm oder das strenge Praktizieren einer spirituellen Ausrichtung daher kommen könnte…)!

Der Weg zur erwähnten Daseinsfreude, zu einem „Ich bin“, bedeutet vor allem, gerade auch mit dieser seltsamen empfundenen Unverbundenheit in unserem Inneren in Kontakt zu kommen. Sogar einschließlich der Seiten in uns, die diese Unverbundenheit um keinen Preis fühlen möchten und uns deshalb diktieren wollen, daß ein*e Starke*r am mächtigsten allein sei*, uns als abhängig und bedürftig kritisieren – oder die uns mit nicht ganz passend zugeschnittener Zerstreuung vom Fühlen, Anerkennen und uns-selbst-Wahrnehmen ablenken möchten.
Auf diese Weise erschaffen wir für uns die Chance, dann festzustellen, daß wir doch sehr gute Gründe für all das haben, was wir fühlen: Womit wir beginnen, auch ganz stark internalisiert (in uns aufgenommene) Traumata und Glaubenssätze aufzulösen, weil wir so durchschauen, daß WIR NIE VERKEHRT WAREN!
Und da ich bereits in Eintrag 26 auf Konsequenzen ungünstig erworbenen Denkens bei Konfliktlösungsstrategien (Stichwörter „win / lose“ ) hinweise, schließt sich hier der Bogen zu Frau Sanchez‘ Eingangsbemerkung, wie sehr eben unsere Bindungsfähigkeit „nach innen“ mit unserer Bindungsfähigkeit „nach außen“ – also vor allem zu unseren Lieblingsmenschen – zu tun hat.

Unsere Vergangenheit liebt also in der Tat immer mit, wenn wir uns mit unseren Partner*innen verbinden wollen. Daher ist Begenungskompetenz so wichtig, denn dies kann nur in einem Leben in Kontakt gelingen.
Echter Kontakt bedeutet, daß diese Liebe, nach der wir uns alle sehnen, nichts von uns „weg“ oder „anders“ haben“ möchte. Liebe umarmt sogar all unsere Konjunktive von „wenn“ und „hätte“: Wahre Liebe gibt allen Seiten ein Daseinsrecht.
Und wenn – wie Stefan Ossmann oben sagte – Aufmerksamkeit das knappe Gut ist, welches wir alle begehren, dann stellen wir doch schon sehr oft fest, daß wir uns meist bereits zu wenig Zeit für uns selbst nehmen. Hier beginnt Begegnungskompetenz: Sich selbst immer tiefer begegnen – in der Liebesbeziehung zu sich selbst.
„Ich“ sollte also mehr da sein; „Ich“ sollte mehr stattfinden…

Wie so etwas beginnen könnte, das hat für mich sehr lebensnah der britische Autor Matt Haig in seinem Buch „Die Mitternachtsbibliothek“ ausgedrückt, indem er schreibt:


¹ aus: YouTube: Transgenerationstrauma, Maria Sanchez im Interview mit Simon Rilling (25.10.2022)
Zusätzlich Dank an Frau Sanchez für ihr therapeutisches Onlineangebot, aus dem ich in meinem Eintrag auszugsweise zitiere (für den Zugang zu den betreffenden Inhalten hat mein Haushalt ordnungsgemäß bezahlt).

² Online-Angebot Süddeutsche Zeitung Magazin vom 02. Juli 2021, Interview von Thomas Bärnthaler im Gespräch mit Stefan Ossmann [Polyamorieforscher an der Universität Wien] (SZPLus abonementpflichtig)

³ Matt Haig: „Die Mitternachtsbibliothek“ [2021] – Droemer TB; (10. Edition, 3. April 2023)

* „Der Starke ist am mächtigsten allein“ – Zitat aus Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, I. Akt, 3. Szene

Danke an Valiant Made auf Unsplash für das Foto!